Bundestag beschließt sogenanntes “Rückführungsverbesserungsgesetz”

Weitreichende Entrechtungen von geflüchteten (jungen) Menschen in Deutschland

Wenige Tage nachdem das Recherche-Kollektiv „Correctiv“ ein Geheimtreffen von Rechtsextremen, AfD- und CDU-Mitgliedern und ihre Pläne zur systematischen und massenhaften Deportation von Menschen aus Deutschland offenlegte (euphemistisch „Remigration“), hat die Bundesregierung am 18.01.2024 das sog. “Rückführungsverbesserungsgesetz” beschlossen.

Damit betreibt die Ampelkoalition de facto eine Migrationspolitik der Abschottung und Entrechtung: Neben dem Votum der Bundesregierung für das Gemeinsame Europäische Asylsystem im Dezember 2023 (GEAS), mit dem künftig ausnahmslos auch Minderjährige an europäischen Außengrenzen in Sammelunterkünften interniert werden können, wurden nun auch auf Bundesebene mit dem „Rückführungsverbesserungsgesetz“ gravierende Einschnitte in die Rechte von geflüchteten Menschen in Deutschland verabschiedet.

Im Kern sieht das „Rückführungsverbesserungsgesetz“ vor: Die Abschiebehaft soll von derzeit höchstens 10 auf 28 Tage verlängert werden (vgl. Tagesschau.de für einen Überblick). Die Unverletzlichkeit der Wohnung und die Privatsphäre unbeteiligter Dritter wird ausgehöhlt, indem die Polizei erweiterte Zugriffsrechte auch zum Betreten und Durchsuchen auch der Wohnungen und/oder Zimmer Dritter, bspw. von Nachbar*innen in Gemeinschaftsunterkünften, erhält – auch zur Nachtzeit. Drohte Menschen mit Duldung, die seit mindestens einem Jahr in Deutschland lebten, eine Abschiebung, so musste dies ihnen bislang mindestens ein Monat zuvor angekündigt werden. Dies wird mit dem „Rückführungsverbesserungsgesetz“ gestrichen. Im Regelfall wird es keine Ankündigung der Abschiebung mehr geben. Lediglich Familien mit Kindern unter zwölf Jahren sollen eine Vorwarnung erhalten. Das Gesetz umfasst auch eine Erleichterung von Abschiebungen in der Nacht. „Familien mit Kindern können künftig ohne Vorwarnung nachts von der Polizei aus den Betten gerissen und abgeschoben werden. Das kann zutiefst traumatisieren und ist ein klarer Verstoß gegen den Vorrang des Kindeswohls“, warnt Sophia Eckert (terre des hommes).

Scharf zu kritisieren und besorgniserregend sind auch die Neuregelungen im Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) bezüglich Gesundheits- und Sozialleistungen: Die Zeit, in der Asylsuchende lediglich einen Anspruch auf stark abgesenkte Gesundheits- und Sozialleistungen nach AsylbLG haben, wird mit dem „Rückführungsverbesserungsgesetz“ von zuvor 18 Monaten auf jetzt 36 Monate verlängert. Schon jetzt haben asylsuchende Menschen keinen Zugang zur regulären Krankenversicherung und mit dem AsylbLG lediglich in Akutfällen und/oder bei Schmerzzuständen, bei Schwangerschaft und Geburt einen Anspruch auf medizinische Versorgung. Hinzu kommt, dass die Menschen sich bspw. bei erweiterten Bedarfen aufgrund chronischer oder psychischer Erkrankungen einen Umweg über die Sachbearbeiter*innen der zuständigen Sozialämter nehmen müssen, die über die Gewährung von Behandlungsscheinen und damit Chance der Inanspruchnahme von Ärzt*innen entscheiden –häufig selbst jedoch keine medizinische Qualifikation vorweisen.

In ihrem offenen Brief weist ein Bündnis von Ärzte der Welt e.V., landesweiten Flüchtlingsräten, dem Paritätischen Wohlfahrtsverband und weiteren Nichtregierungsorganisationen darauf hin, dass „…die Bundesregierung…bereits mehrfach von den Vereinten Nationen dafür gerügt (wurde), dass Deutschland Asylsuchenden das Recht auf Gesundheitsversorgung verwehrt. Sie nun noch länger zu benachteiligen, ist einmal mehr menschenrechtswidrig und ignoriert die jüngste ausdrückliche Aufforderung des UN-Komitees zur Konvention gegen Rassismus (ICERD) vom 8.12.2023 die Ungleichbehandlung im Zugang zu Sozial- und Gesundheitsleistungen zu beenden. Anstatt der Aufforderung gerecht zu werden, dieses diskriminierende und mehrfach für rechtswidrig befundene Zwei-Klassen-System für Geflüchtete abzuschaffen (Gerichtsurteil), wird der Anwendungszeitraum des Asylbewerberleistungsgesetzes verdoppelt.

Eine vom Bundesinnenministerium in den Gesetzesentwurf eingebrachte Änderung des §96 Aufenthaltsgesetz sah zudem vor, dass auch uneigennützige, humanitäre Hilfe für Flüchtende strafbar sein soll. Aufgrund zivilgesellschaftlichen Protests und mehrerer vorab verfasster Rechtsgutachten (vorgelegt von Vera Magali Keller und David Werdermann) konnte dieser Vorschlag mit einem Änderungsantrag zunächst abgewendet werden. Doch auch die nachträglichen Änderungen sind nicht weitreichend genug, um die Kriminalisierung ziviler Seenotrettung zu verhindern. So warnen die Jurist*innen erneut in einer Rechtsexpertise, dass mit dem Änderungsvorschlag zwar volljährige Personen straffrei gerettet werden dürften, jedoch ausgerechnet die Seenotrettung unbegleiteter Minderjähriger jetzt strafbar zu werden droht (vgl. bspw. Fokus Sozialrecht sowie der Paritätische).

Die Bundesregierung rechtfertigt das Gesetz für schnellere und erleichterte Abschiebungen mit dem Narrativ der sog. "irregulären Migrant*innen", die den Sozialstaat gefährden und die Kommunen belasten (vgl. Bundeskanzler Olaf Scholz im Interview mit tagesschau.de). Die bereinigte Schutzquote für das Jahr 2023 zeigt jedoch: in ca. 70 Prozent Fälle erhielten asylsuchende Personen im Jahr 2023 aus guten Gründen eine Asylberechtigung, einen Flüchtlingsschutz oder subsidiären Schutz oder ein Abschiebungsverbot (für die bereinigte Schutzquote 2022/2023 vgl. bspw. PRO ASYLvgl. auch Mediendienst Migration und Integration, Niedersächsischer Flüchtlingsrat). Empirisch bildet sich also ab, dass geflüchtete Menschen dauerhaft und aus guten Gründen in Deutschland bleiben werden. Diese Realität gilt es mit einer dauerhaften Unterstützungsstrategie für Kommunen, Sozialsysteme und die demokratische Zivilgesellschaft zu gestalten anstatt sich rechtspopulistische Positionen einer vermeintlichen Überforderung durch Geflüchtete zu eigen zu machen und sie in eine Politik Abschottung durch Prekarisierung und Entrechtung zu gießen.

Bereits im Vorfeld und nach Bekanntgabe der Verabschiedung des Gesetzes haben zivilgesellschaftliche Organisationen wie (hier exemplarisch genannt) u.a. der Paritätische Wohlfahrtsverband (Pressemitteilung vom 17.01.2024, Stellungnahme zum Entwurf vom 16.10.2023), Bündnispartner*innen in einem Offener Brief vom 04.01.2024, PRO ASYL (Pressemitteilung vom 19.01.2024, Kommentierung vom 13.10.2023, der Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (Kommentar vom 26.10.2023) und terre des hommes (Stellungnahme vom 13.10.2023) ausführlich Stellung zu den Vorhaben der Bundesregierung bezogen und dabei auch auf die massiven Auswirkungen auf asylsuchende Kinder und Jugendliche und deren Familie hingewiesen. Dabei wurde lediglich eine Frist von zwei Tagen für Stellungnahmen und Kommentierungen aus der Zivilgesellschaft eingeräumt.