Implementation und Evaluation von "Family Group Conference (FGC)"- Konzepten
Seit einigen Jahren wird verstärkt in zahlreichen Ländern mit dem in Neuseeland entwickelten Verfahren der „Family-Group-Conference“experimentiert und operiert. Obwohl solche Konzepte mittlerweile über Neuseeland hinaus in Kanada, Australien, USA sowie zunehmend im gesamteneuropäischen Raum Verbreitung gefunden haben, wird dies in der deutschen Jugendhilfe – sieht man von einigen wenigen Beiträgen in Fachzeitschriften ab (s.u.) – bislang kaum zur Kenntnis genommen.
Mit dem von der Stiftung DeutscheJugendmarke e.V. finanziell geförderten Modellprojekt wird der FGC-Ansatz mit fünf ausgewählten Jugendämtern eingeführt und erprobt. Diese sind in Nordrhein-Westfalen die Jugendämter des Kreises Herford, der Stadt Mülheiman der Ruhr und die Stadt Viersen. In Hessen wirken die Jugendämter des Landkreis Kassel und des Landkreises Waldeck-Frankenberg mit. Zum anderen soll mit dem Projekt überprüft werden, wie und unter welchen Bedingungen dieses Konzept in der deutschen Jugendhilfe zu mehr Partizipation und Lebenswelt- oder Gemeinwesenorientierung bei Hilfeentscheidungen führen kann.
Zum fachlichen Hintergrund
FGC-Konzepte zielen darauf, die AdressatInnen bzw. ihre Familien nicht nur an Hilfeentscheidungen zu beteiligen, sondern sie selbst zu Entscheidungsträgern zu machen und so ihre Problemlösungskapazitäten effektiv zu nutzen. Ein Mehr an Partizipation der AdressatInnen verfolgte auch der deutsche Gesetzgeber als er 1991 mit dem Kinder- und Jugendhilfegesetz einen Wandel im Selbstverständnis der Jugendhilfe hin zu einer adressatengesteuerten Dienstleistung einleitete. Dabei kam der Hilfeplanung nach § 36 KJHG eine Schlüsselrolle zu, indem mit dem Hilfeplangespräch ein „Aushandlungsforum“ zwischen sozialpädagogischen Fachkräften und AdressatInnen zur Entscheidung über die notwendige und geeignete Hilfe geschaffen wurde. Deutlich wurde in den Jahren der Umsetzung, dass bestehende Spannungsfelder, deren Pole zwischen den Alternativen Hilfe versus Kontrolle und Diagnose versus Aushandlungumrissen werden können, einen partizipativen Entscheidungsprozess erschweren und es letztlich den Fachkräften obliegt, die Balance zwischenden genannten Polen zu wahren.
Zudem ist die Hilfeplanung als Aushandlungsprozess durch ein strukturelles Machtgefälle geprägt, in dem die Fachkräfte in der Regel neben hoheitlichen Befugnissen über bessere Rechts-, Verfahrens- und Angebotskenntnisse sowie rhetorische Fähigkeiten verfügen. Vor diesem Hintergrund kommt eine Aushandlung auf „gleicher Augenhöhe“ nur dann zustande, wenn seitens der Fachkräfte die Bereitschaft besteht, die AdressatInnen als gleichwertige PartnerInnen anzuerkennen und zur Aushandlung zu befähigen. Bisherige Qualifizierungsstrategien zum Hilfeplanverfahren setzen mit der Forderung einer stärkeren Reflexivität bei den Fachkräften selbst an, suchen durch Kontraktmanagement die Arbeitsbündnisse zwischen den Beteiligten zu qualifizieren oder wollen durch eine Erweiterung des diagnostischen Instrumentariums zu einer besseren Passgenauigkeit der Hilfen kommen. Das angelaufene Modellprojekt bietet hierzu eine beispielhafte Ergänzung, weil hier deutlicher als bislang realisiert, die genannten Spannungsfelder zugunsten der AdressatInnen und im Sinne eines partizipativen Verständnisses von Jugendhilfe ausbalanciert werden.
Zum „Family-Group-Conference“-Verfahren
Den FGC-Konzepten liegen zwei zentrale Annahmen zugrunde. Die AdressatInnen von Hilfen werden grundsätzlich als entscheidungskompetent hinsichtlich angemessener Hilfen und Unterstützungsangebote angesehen. Weiter wird davon ausgegangen, dass ein Teil der (potentiellen ) AdressatInnen von Hilfe zur Erziehung in „soziale Netzwerke“ (z.B.Familienmitglieder, Verwandte, Freunde, Nachbarn) eingebunden sind, die nicht nur über Ressourcen zur Problemlösung verfügen, sondern auch über unmittelbare Zugänge zu den Bedürfnislagen der HilfeadressatInnen. Vor dem Hintergrund dieser Grundgedanken werden drei zentraleZiele mit dem FGC-Verfahren verfolgt:
- Familien werden anregt und unterstützt, ihre Probleme selbst anzugehen und Lösungen zu finden.
- Soziale Netzwerke und Gemeinwesensbezüge werden aktiviert und an der Problemlösung beteiligt.
- Die Familiengruppe wird selbst zum Entscheidungsträger für die Lösung oder Hilfe und übernimmt Verantwortung für die Umsetzung und Überprüfung.
Die genannten Ziele werden durch zentrale Arbeitsprinzipien (förderliche Haltungen) sowie durch klar geregelte Aufgaben- und Ablaufregelungen angestrebt. Partizipation wird gesichert, indem das Verfahren einen „profifreien“ Raumvorsieht, in dem mögliche Lösungen erst einmal von der Familie und Menschen aus ihrem Netzwerk überlegt und beraten werden. Ressourcen werden mobilisiert, indem in Absprache mit der Familie Verwandte, Freunde oder andere bedeutsame Menschen aus ihrer Lebenswelt an der Beratung und Entscheidung beteiligt werden. Aushandlung wird ermöglicht, in dem die Leitung des Verfahrens durch eine/n neutrale/n ModeratorIn erfolgt. Sie/er übernimmt die Verantwortung für das Verfahren, nicht aber für mögliche Lösungen. Die fallzuständigen Fachkräfte haben ein so genanntes „Veto-Recht“, indem sie "Nein" zu vorgeschlagenen Lösungen sagen, wenn diese unsicher erscheinen oder ein junger Mensch einem unverantwortlichen Risiko ausgesetzt wird.
Der konkrete Ablauf einer FGC-Konferenz lässt sich grob in vier Phasen untergliedern:
In der Vorbereitungsphase erhält die Familie Information über das Verfahren, organisiert der/die ModeratorIn in Abstimmung mit den AdressatInnen die FGC, Festlegung des Teilnehmerkreises, Ortes und Termins.
In der Beratungsphase - der Beginn der eigentlichen Familiengruppenkonferenz - werden für alle Beteiligten die Einschätzungen zur Problemsituation und die Ziele der FGC zusammengefasst; Informationen zur rechtlichen Situation und zu möglichen professionellen Unterstützungsmöglichkeiten gegeben sowie der „Auftrag“ und Regeln für die anschließenden Phasen festgelegt.
In der Diskussionsphase verständigt sich die „erweiterte“ Familie über mögliche Lösungen und erstellt einen Plan für das weitere Vorgehen.
In der Entscheidungsphase findet eine moderierte Präsentation und Abstimmung des Hilfeplans bzw. der Vereinbarungen und die Überprüfung mit der zuständigen Fachkraft statt.
In der Regel werden nach ca. drei Monaten die getroffenen Vereinbarungen von der Familiengruppe unter Beteiligung der zuständigen Fachkraft und mit Unterstützung der/des Moderatorin/s in einem „follow-up“ überprüft.
Zum Modellprojekt
Das übergreifende Ziel des vorliegenden Modellprojektes besteht darin, durch die exemplarische Implementation in fünf Jugendämtern und die Evaluation der Umsetzungsprozesse die Bedingungen herauszuarbeiten, unter denen das FGC-Verfahren weitergehend in der deutschen Jugendhilfe umgesetzt werden kann. In dieser Perspektive werden folgende sieben Projektziele konkretisiert:
- Erstellung eines Literaturberichtes aufgrund der vorliegenden Erfahrungen mit und Forschungsergebnisse über den Einsatz von FGC-Konzepten in anderen Ländern;
- Implementierung des FGC-Verfahrens und
- Evaluierung der Umsetzungsprozesse in fünf Jugendämtern;
- Entwicklung von Kriterien für den Einsatz des FGC-Konzeptes bezogen auf möglicherweise geeignete oder weniger geeignete Fallkonstellationen;
- Identifizierung von Haltungen, die auf Seiten der Fachkräfte förderlich für die Realisierung des Konzeptes sind;
- Entwicklung eines Schulungskonzeptes für ModeratorInnen (und evtl. auch Fachkräfte);
- Datenschutzrechtliche Klärung bzgl. des Umgangs des sozialen Netzwerkes mit vertraulichen Daten in Form einer Expertise.
Die IGfH verantwortet als Träger des Modellprojektes dessen Durchführung. Die wissenschaftliche Begleitung hat die Fachhochschule Münster, Fachbereich Sozialwesen übernommen. Diese hat hierzu zwei verschiedene „Teams“ installiert: für die Implementation sind Prof. Dr. Peter Hansbauer und Martina Kriener, für die Evaluation Prof. Dr. Hiltrud von Spiegel und Katja Müller zuständig.
In jedem der fünf beteiligten Jugendämter sollen 8 – 10 FGCs umgesetzt werden. Die kommunale Implementation des Projektes wird vor Ort begleitet durch jeweils eine/n Projektkoordinator/in, i.d.R. zwei ModeratorInnen sowie einer Projektgruppe, der neben den letzt genannten weitere KollegInnen aus den Jugendämtern angehören.
Die Laufzeit des Modellprojektes beträgt zwei Jahre und begann am 02.05.2006. In dieser Zeit berät und begleitet ein Beirat das Projekt, dem neben VertreterInnen der IGfH, der fünf Jugendämter, der wissenschaftlichen Begleitung, einigen ausgewiesenen ExpertInnen auch VertreterInnen der Landesjugendämter Westfalen-Lippe und Rheinland sowie dem hessischen Sozialministerium angehören sollen.