Erziehungshilfen und offene Jugendarbeit
Nach Forum Erziehungshilfen 1/1996 und 3/1997 beschäftigen wir uns zum dritten Mal schwerpunktmäßig mit den integrierten Erziehungshilfen. Wenn verschiedene Hilfen zur Erziehung gemäß '' 27 ff SGB VIII flexibel am jeweiligen Bedarf orientiert, 'aus einer Hand' und unter Berücksichtigung und Nutzung des Sozialraums verwirklicht werden, dann entstehen - so zeigte sich bereits in der ersten Projektphase des Bundesmodellprojekts INTEGRA - wie selbstverständlich 'Grenzüberschreitungen' und Verbindungen zu den sogenannten 'offenen' Jugendhilfen und zu anderen sozialen bzw. Bildungs-Einrichtungen im Gemeinwesen: Die lebensfeldorientierte Tagesgruppe als Bestandteil einer Jugendhilfestation wird stundenweise zur Anlaufstelle für FreundInnen der 'eigentlichen' TG-Kinder, die Räumlichkeiten werden teilweise von einer Müttergruppe und einer Jugendclique selbstorganisiert genutzt. Mit dem Jugendclub entsteht eine enge fall-, aber auch feldbezogene Zusammenarbeit (z.B. in Form eines Fußballturniers für Mädchen und Jungen aus dem Stadtteil). Ein besonders schwieriger Jugendlicher, der sich häufig im Jugendhaus aufhält und zu einem dortigen Sozialpädagogen einen besonders guten Draht hat, wird von diesem im Rahmen einer intensiven Einzelfallhilfe begleitet. Es versteht sich fast von selbst, daß 'irgendwelche', quer zur KJHG-Systematik liegende Hilfearrangements entstehen, wenn Hilfen von den KlientInnen und den sozialräumlichen Ressourcen her konzipiert werden.
Das ist nicht neu. Man lese nur das Porträt von Suse Lindemann in diesem Heft und übertrage in Gedanken die 'fürsorgerisch' geprägte Hortarbeit der Berliner Vorkriegszeit auf heute - man würde bei einem einer 'modernen' Jugendhilfestation sehr nahen Setting landen. Oder man erinnere sich des Hansischen Jugendbundes (vgl. Krüger/Kalcher/Goll/Goll: 'Draußen war Druck, aber im HJB konntest Du aufatmen', Hamburg 1995: Urban-Verlag), der zwischen 1947 und 1967 bestand und eine faszinierende Mischung aus selbstorganisiertem Jugendprojekt und Fürsorgeeinrichtung der Hamburger Jugendbehörde war. Und Tina Kuhne qualifiziert in ihrem Beitrag über die feministischen Mädchenhäuser diese zurecht als 'Mütter der flexiblen Hilfe'.
Es ist eben fatal, daß die Modernisierung der Jugendhilfe in den letzten Jahrzehnten als ein Prozeß der Segmentierung und der Spezialisierung verlief. Von der 'Einheit der Jugendhilfe' wurde nur noch geredet, tatsächlich wurden im 'Haus' der Jugendhilfe immer mehr immer besser ausgestattete Kämmerlein eingerichtet: hier die mobile Jugendarbeit, dort die Jugendhausszene, hier die Heimerziehung, dort die Sozialpädagogische Familienhilfe etc. Für den Fachdiskurs mit anderen, benachbarten Feldern fehlte die Zeit, zu sehr war man in der eigenen Szene beschäftigt, wiederum im Bild geredet: mit der Abrundung der gemütlichen Zimmerausstattung befaßt. Auf integrierte sozialraumorientierte Erziehungshilfen umzusteuern bedeutet, die Fenster zu öffnen und frische Luft hereinzulassen! Wir können von den KollegInnen aus dem Hortbereich, von der mobile Jugendarbeit oder der Schulsozialarbeit ebensoviel lernen wie jene von uns!
Neben dem bereits erwähnten Beitrag von Kuhne berichten Josef Koch und Stefan Lenz über Kooperationschancen zwischen Hilfen zur Erziehung und offener Jugendarbeit, wie sie sich bislang im INTEGRA-Projekt zeigen.
Mechthild Wolff kann vor dem Hintergrund ihrer Fallstudie über die Arbeit eines integriert arbeitenden Projekts zeigen, daß Jugendliche Einrichtungen der Jugendhilfe dann schätzen und als hilfreich erleben, wenn diese den unterschiedlichen Bedürfnissen der Jugendlichen - nach individueller Hilfe im Bedarfsfall, aber auch nach offenen Freizeit- und Treffräumen - nachkommen.
Flexibles sozialraumbezogenes Arbeiten wird im Beitrag von Heiner Gutbrod charakterisiert als eine dem Klienten in seinen verschiedenen Lebensfeldern nachgehende Hilfe, die darin auch enge Verbindungen zu Schulsozialarbeit und Cliquenarbeit eingeht.
Für Helga Treeß lösen sich in der Perspektive einer gemeinwesenorientierten integrierten Jugendhilfe die starren Differenzierungen zwischen z.B. offener Jugendarbeit und Erziehungshilfen auf, schon weil die Aufteilung von SozialraumbewohnerInnen in Zielgruppen von Sonderhilfen nicht deren alltäglich erlebter Realität entsprechen.
Wolfgang Trede
Aus dem Inhalt
Friedhelm Peters: Verteidigen, kritisieren, überwinden! Über neue Versuche, die Struktur der Jugendhilfe zu ändern
Josef Koch und Stefan Lenz: Zusammenarbeit statt Abgrenzung - Kooperationschancen und Arbeitsperspektiven zwischen den Hilfen zur Erziehung und der (offenen) Jugendarbeit
Mechthild Wolff: Bedürfnisse Jugendlicher zwischen Offenheit und Halt - ausgewählte Ergebnisse einer Fallstudie
Heiner Gutbrod: Mobile und flexible Hilfe - ein Praxisbericht
Tina Kuhne: Das ganzheitliche und feministisch orientierte Mädchenhaus - 1985 begann das feministisch-flexible Hilfesystem
Helga Treeß: Argumente für eine kooperative und integrative Jugendhilfe
Klaus Ollinger: Heimbeirat der Eltern bzw. Angehörigen in der Partnerschaftlichen Erziehungshilfe e.V.
Matthias Moch: Das Eigene und das Fremde - Neue Herausforderungen für die Tagesgruppe im Lebensfeld
Harald Doenst: Die Ökowelle rollt - Wird die Jugendhilfe abgehängt?