Vormundschaft im Wandel

ForE 1-1999

In Deutschland standen zum Stichtag 31.12.1994 rund 12.000 Minder­jährige unter gesetzlicher Amtsvormundschaft, knapp 34.000 Minder­jährige unter bestellter Amtsvormundschaft und knapp 30.000 unter (bestellter) Amtspflegschaft. Ein weiterer Blick auf die (für den Bereich Vormundschaften/Pflegschaften im übrigen kümmerliche) Bundesstati­stik offenbart, daß die Übertragung der Personensorge erstens in stei­gendem Maße auf vormundschafts- bzw. familienrichterliche Anwei­sung hin erfolgt, was nahelegt, daß der relative Anteil von Minderjäh­rigen, die aus belasteten und konflikthaften Lebenssituationen heraus unter Vormundschaft gestellt werden, gestiegen ist. Zweitens läßt feststellen, daß immer häufiger die Übertragung des Personensorge­rechts auf Amtsvormünder erfolgt zuungunsten von Einzelvormündern. Diese Entwicklungen bilden den Horizont für neue, zum Teil aber auch schon länger bestehende Probleme und Widersprüchlichkeiten dieses Rechtsinstituts (vgl. hierzu auch die ausführliche Darstellung bei Peter Hansbauer, Aktuelle Probleme in der Amtsvormundschaft/-pflegschaft und Perspektiven zu ihrer Überwindung, in: Zentralblatt für Jugend­recht 12/1998):

1. Rechtliche Probleme
Bei Eingriffen in die elterliche Sorge ('' 1666 ff BGB ) durch die Anordnung einer (bestellten) Vormundschaft/Pflegschaft von Amts wegen, soll die Maßnahme eigentlich von Anbeginn an auf baldige Beendigung hin angelegt sein. Und ist eine Rückübertragung elterlicher Funktionen absehbar nicht möglich, so müßten `diese auf vom Staat unabhängige, für den Minderjährigen real erfahrbare, immer wenn möglich auf mit ihm zusammenlebende Erwachsene übertragen wer­den, über deren Betätigung die staatliche Gemeinschaft wacht` - so Salgo.* Ganz offensichtlich trägt die Verfahrenspraxis andere Züge.

2. Organisatorische und professionsspezifische Probleme
Neben unbestrittenen Vorteilen einer von Professionellen ausgeübten Vormundschaft verbinden sich mit Amtsvormundschaften aber auch gravierende organisationsbezogene Probleme. In den Augen des Mün­dels sind Amtsvormünder, wenn überhaupt bekannt, so doch wohl eher die Amtsperson, `das Jugendamt`, als eine wichtige Bezugs- oder gar Vertrauensperson. Zum anderen ergeben sich regelmäßig Loyalitäts­probleme, wenn es zu Interessenkollisionen zwischen Leistungsberech­tigtem, d.h. dem Amtsvormund als Mitarbeiter des Jugendamts, und der leistungsgewährenden Stelle im selben Amt kommt. Eine parteiische Interessenvertretung ist in dieser Konstellation kaum vorstellbar. Er­schwerend kommt hinzu, daß Amtsvormünder i.d.R. Verwaltungsfach­kräfte sind, die das sozialpädagogische `case management`, für das Vormünder eigentlich prädestiniert wären, an den ASD abgeben.

Die Beiträge dieses Heftes bearbeiten die genannten Widersprüche und Probleme aus unterschiedlichen Blickwinkeln und geben Anstöße zu einer Neuorientierung des Vormundschaftswesens:

  • Vormundschaft ist eine persönliche Aufgabe, eine Rückbesinnung auf den Einzelvormund ist erforderlich.
  • Die organisatorischen Probleme sind konstituierendes Merkmal von Amtsvormundschaften und lassen sich nicht durch `bessere Verwal­tungsvorschriften` überwinden. Die Vormundschaft muß daher von seiner Anbindung an das Jugendamt gelöst werden.
  • Zur Bewältigung der professionsspezifischen Probleme spricht vieles dafür, an einem eigenständigen Berufsbild für VormünderInnen zu arbeiten, die dieses Aufgabenfeld zu ihrem Beruf machen wollen.

Die Entwicklung eines neuen Professionsmodells, wie es Hansbauer (a.a.O.) ­entwirft, kann hier neue Wege weisen, zumindest aber dazu führen, die offensichtlichen aber bislang immer wieder erfolgreich verdrängten Probleme der Amtsvormundschaft/-pflegschaft nicht dau­erhaft weiter zulasten der betroffenen Minderjährigen zu ignorieren.

Reinhold Schone

* Salgo, L. (1991): Amtsvormundschaft/Amtspflegschaft: Verwaltung oder soziale Arbeit - Teil des Jugendamts oder Fremdkörper? In: Kreft./Münder (Hg.), Quo vadis Jugendhilfe? Nürnberg, S. 109-121.

 

 

Erscheinungsjahr
1999
Ausgabe
1
Sammelband
Nein
Ausgabe Jahr
1999