Bundesnetzwerk Ombudschaft: Rechtsgutachten zur Kostenheranziehung junger Menschen in der Jugendhilfe
Das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz regelt im reformierten SGB VIII zum Thema Kostenheranziehung:
- Statt 75% des Einkommens werden 25% herangezogen (§ 94 Abs.6 S.1 SGB VIII).
- Statt der Zugrundelegung des durchschnittlichen Monatseinkommens des Vorjahres ist nun das Einkommen des Monats, in dem die Leistung oder die Maßnahme erbracht wird, maßgeblich (§ 94 Abs.6 S.2 SGB VIII).
- Neu ist, dass folgende Einkommen aus einer Erwerbstätigkeit innerhalb eines Monats für den Kostenbeitrag unberücksichtigt bleiben (§ 94 Abs.6 S.3 SGB VIII): Einkommen aus Schülerjobs oder Praktika mit einer Vergütung bis zur Höhe von 150 Euro monatlich; Einkommen aus Ferienjobs; Einkommen aus einer ehrenamtlichen Tätigkeit (z.B. Freiwilligendienste);150 Euro monatlich als Teil einer Ausbildungsvergütung.
Zu begrüßen sind die Absenkung auf 25% und die Ausnahmeregelungen. Nachteilig dagegen ist die Regelung zur Heranziehung des Einkommens des Monats, in dem die Leistung erbracht wird. Dies bedeutet, jedes Einkommen (außer bei den aufgezeigten Ausnahmen) wird sofort und möglicherweise von Monat zu Monat unterschiedlich herangezogen, je nach variierender Höhe des monatlichen Einkommens. Empfehlungen zur Umsetzung der Neuregelungen an die Jugendämter hat nun die BAG LJÄ aktuell herausgebracht. Diese bietet eine Orientierung, wie die Jugendämter zukünftig die Kostenheranziehung handhaben werden (152. Empfehlung der BAG LJÄ).
In Bezug auf die vorherigen, nun nicht mehr gültigen, Kostenheranziehungsregelungen gab es noch im Dezember 2020 ein Bundesverwaltungsgerichtsurteil. Hier waren die Streitpunkte, inwiefern mit Hinweis auf den alten Wortlaut für das Einkommen zwingend das durchschnittliche Monatseinkommen des Vorjahres zu Grunde zu legen ist und nicht das aktuelle Einkommen. Außerdem wurde darüber entschieden, dass das Ermessen zur Entscheidung, ob ein Einkommen aus der Tätigkeit in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen der Kostenheranziehung unterliegen darf, auszuüben ist. Folgende Leitsätze geben das Ergebnis des Rechtsstreites wieder:
1. Für die Berechnung des Kostenbeitrags, den junge Menschen bei vollstationären Leistungen der Jugendhilfe einzusetzen haben, ist gemäß § 93 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII das durchschnittliche Monatseinkommen des Vorjahres maßgeblich.
2. Der Jugendhilfeträger hat gemäß § 94 Abs. 6 Satz 2 SGB VIII nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob er von der Erhebung eines Kostenbeitrags ganz oder teilweise absieht, wenn das Einkommen aus einer Tätigkeit in einer Werkstatt für behinderte Menschen stammt, die dem Zweck der Jugendhilfeleistung dient (siehe auch Urteil BVerwG 5 C 9.19 vom 11.12.2020).
Dieses Ergebnis ist dahingehend von aktuellem Interesse, dass u.a. das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes nach Aussage des Rechtsgutachtens des Bundesnetzwerkes Ombudschaft Kinder- und Jugendhilfe in Zusammenarbeit mit Rechtsanwalt Benjamin Raabe Anlass liefert, dass zwar bestandskräftige, aber offensichtlich rechtswidrige Kostenheranziehungsbescheide rückwirkend auf die letzten vier Jahre überprüfbar sind. Im Zweifel ist das Jugendamt gezwungen, zu viel gezahlte Gelder an die jungen Menschen zurückzuzahlen.
Das Rechtsgutachten sowie alle Informationen zur Kostenheranziehung und entsprechende Anleitungen zur Einleitung einer Überprüfung finden sich auf der Internetseite des Bundesnetzwerkes Ombudschaft Kinder- und Jugendhilfe: Zum Rechtsgutachten
Quelle: Bundesnetzwerk Ombudschaft vom 27.08.2021 und Fachinformationen des Paritätischen Gesamtverbands vom 19.08.2021