Ombudschaft und Beschwerdeverfahren

aus: Kritisches Glossar Hilfen zur Erziehung. Düring, Diana et al. (Hrsg.) (2014)
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Soziale Arbeit ist geprägt durch eine spannungsreiche Grundstruktur. Sie hat einerseits zur Aufgabe, Menschen zu helfen und in ihrer individuellen Selbstverwirklichung zu unterstützen, und ist dabei gleichzeitig eingebunden in gesellschaftliche Deutungskontexte, Aufgabenzuweisungen und sozialpolitische Strategien. Diese spezifische Struktur zeigt sich sowohl aus gesellschaftlicher Perspektive, d. h. im doppelten Mandat der Sozialen Arbeit, als auch auf der interaktiven Ebene in der Helfer-Klient-Beziehung. Der Kern Sozialer Arbeit ist „Beziehungsarbeit“, die Gestaltung einer „helfenden“ Beziehung von Mensch zu Mensch. Dabei handelt es sich um eine strukturell asymmetrische Interaktion: HelferInnen agieren im Status der Profession und im öffentlichen Auftrag, verfügen über Fach- und Orientierungswissen und entscheiden über die Verteilung von Ressourcen. Die meisten Betroffenen befinden sich demgegenüber in einer persönlichen Belastungssituation, sind mit den spezifischen Bedingungen des Feldes der Sozialen Arbeit nicht vertraut und können über die fachlichen, institutionellen und rechtlichen Regeln der helfenden Institutionen nur spekulieren (vgl. Wolf 2007; Urban-Stahl 2013).

Auf der formalen Ebene sichert das Kinder- und Jugendhilferecht jungen Menschen und ihren Sorgeberechtigten umfassende Rechte zu. Wie aber können diese angesichts der asymmetrischen Grundstruktur der Helfer-Klient-Beziehung gesichert werden? Wohin können sich etwa Kinder und Jugendliche wenden, die in einer Heimgruppe leben und das Verhalten von BetreuerInnen als kränkend empfinden? Was können junge Volljährige tun, die sich hilfesuchend ans Jugendamt wenden und dort abgewiesen werden mit dem irreführenden Hinweis, für Volljährige sei die Jugendhilfe nicht mehr zuständig? Wo erhalten Eltern Beratung, die mit einem Träger als Hilfeerbringer nicht einverstanden sind, mit ihren Bedenken in der Hilfeplanung jedoch nicht gehört werden? In allen diesen Situationen brauchen die Betroffenen Ansprechpersonen, die ihr Unbehagen ernst nehmen, sie über ihre Rechte informieren, in Konflikten vermitteln und die Betroffenen erforderlichenfalls darin unterstützen, die ihnen zustehenden Rechte geltend zu machen. Dies ist der Hintergrund von Ombudsstellen und Beschwerdeverfahren in der Kinder- und Jugendhilfe, die in den vergangenen zehn Jahren eine dynamische Entwicklung genommen haben.

 

Unabhängige Ombudsstellen in der Kinder- und Jugendhilfe

Seit 2002 wurden in unterschiedlichen Bundesländern von Fachkräften, Vereinen und Wohlfahrtsverbänden einrichtungsexterne Ombudsstellen gegründet. Junge Menschen und ihre Familien, die sich in Konflikten mit Fachkräften der Kinder- und Jugendhilfe befinden und diese alleine nicht lösen können, erhalten dort Beratung, Information, Unterstützung und Vermittlung, sowohl in fachlicher als auch in rechtlicher Hinsicht. Ombudsstellen verstehen sich als von den wirtschaftlichen Interessen freier und öffentlicher Träger unabhängig agierende, dem Kindeswohl und den AdressatInnenrechten verpflichtete Beratungsstellen (zur Übersicht vgl. Urban-Stahl 2011).

Der Begriff Ombudschaft orientiert sich am schwedischen Modell des Ombudsman und bezeichnet eine Vorgehensweise bei Streitfragen, in der die Interessen der strukturell unterlegenen Partei durch den Ombudsman oder die Ombudsfrau besondere Beachtung finden (vgl. Kucsko-Stadlmayer 2008). Ziel ist es, strukturelle Machtasymmetrien auszugleichen und eine gerechte Einigung zu erzielen.

Ombudsstellen in der Kinder- und Jugendhilfe sind bisher weder rechtlich noch institutionell oder finanziell verankert oder abgesichert. Es handelt sich vielmehr um eine Vielzahl von Modellprojekten, die vor Ort Organisations- und Arbeitsformen erproben und etablieren. Angesichts der spezifischen fachlichen Problemstellungen wird die Arbeit zwar von Fachkräften der Jugendhilfe getragen. Aufgrund der fehlenden finanziellen Absicherung erfolgt sie jedoch überwiegend auf ehrenamtlicher Basis.

Der Bedarf von jungen Menschen und ihren Familien nach einer solchen unabhängigen Beratung in der Kinder- und Jugendhilfe ist groß. Dies veranschaulichen die Beratungserfahrungen des Berliner Rechtshilfefonds Jugendhilfe e.V. (BRJ), der ersten Ombudsstelle in diesem Bereich. Im Zeitraum von 2002 bis 2012 wurden in über 900 Fällen junge Menschen und ihre Familien beraten. Für die Broschüre „10 Jahre Ombudschaft in der Berliner Jugendhilfe“ (Berliner Rechtshilfefonds Jugendhilfe e.V. 2012a) wurden 550 abgeschlossene Beratungsprozesse ausgewertet. Betroffen waren Kinder, Jugendliche und junge Volljährige jeden Alters, wenn auch mit einem deutlichen Schwerpunkt im Bereich der 17- und 18-Jährigen. Die Konflikte bestanden überwiegend im Rahmen der Hilfeplanung mit dem Jugendamt, insbesondere über die Neugewährung von Hilfen, die Sicherung des Wunsch- und Wahlrechts und hinsichtlich durch das Jugendamt geplanter Hilfebeendigungen. Alle Hilfeformen waren vertreten. Schwerpunkte der Hilfen, über die es Konflikte gab, waren jedoch stationäre Hilfen nach § 27 i. V. m. § 34 SGB VIII und i. V. m. § 41 SGB VIII. In 37 % der Fälle erhielten die Betroffenen nach Unterstützung durch den BRJ die gewünschte Hilfe. Hinzu kommen 18 % der Betroffenen, die trotz bestehenden Anspruchs im Laufe des Konflikts hiervon Abstand nahmen (eine Auswertung dieser Verläufe wurde veröffentlicht in Berliner Rechtshilfefonds Jugendhilfe e.V. 2012b). In 25 % wurde das Jugendamtshandeln als rechtens eingeschätzt und den Betroffenen erklärt. Nur in 3 % aller Fälle wurden gerichtliche Schritte der Betroffenen unterstützt, 16 der insgesamt 18 Klagen verliefen für die Betroffenen erfolgreich. 2008 haben sich diese Stellen zum „Bundesnetzwerk Ombudschaft in der Jugendhilfe“ zusammengeschlossen. Neben dem fachlichen Austausch und der Beratung neuer Initiativen werden insbesondere Qualitätsstandards der ombudschaftlichen Beratung entwickelt und Möglichkeiten der bundesweiten strukturellen Absicherung von Ombudsstellen diskutiert (vgl. Urban-Stahl 2011, Internetpräsenz des Netzwerks unter http://www.ombudschaft-jugendhilfe.de).

 

Beschwerdeverfahren in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe

Eine zweite Entwicklung, die in den vergangenen Jahren stattfand, war eine wachsende Aufmerksamkeit in der allgemeinen und der Fachdebatte für Beschwerdeverfahren in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe. Kinder und Jugendliche, die in einer Einrichtung leben und dort mit etwas unzufrieden sind, sich ungerecht behandelt fühlen oder übergriffiges Verhalten erfahren, sollen in der Einrichtung Ansprechpartner haben, die sich dieser Sorgen annehmen und mit den jungen Menschen eine Lösung der Konflikte suchen. Dies soll durch Beschwerdeverfahren gesichert werden. Es gibt einzelne Einrichtungen, die bereits seit längerer Zeit über Beschwerdeverfahren verfügen. Mit dem Bundeskinderschutzgesetz wurde dies nun zur Voraussetzung für die Erteilung einer Betriebserlaubnis (§ 45 Abs. 2 SGB VIII). Die Einrichtungen sind damit aufgefordert, die Entwicklung von Beteiligungs- und Beschwerdeverfahren für Kinder und Jugendliche auf breiter Basis zu intensivieren. Zur Unterstützung dieses Prozesses wurden im Rahmen eines ersten empirischen Forschungsprojekts zur Implementierung von Beschwerdeverfahren in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe (BIBEK) an der Freien Universität Berlin Fallportraits von Einrichtungen mit Beschwerdeverfahren erstellt und eine Handreichung mit Hinweisen für den Entwicklungsprozess veröffentlicht (vgl. Urban-Stahl/Jann 2014). Seitdem haben sich viele Einrichtungen auf den Weg gemacht und sind in diesem Sinne aktiv geworden.

 

Ombudsstellen und Beschwerdeverfahren – Gemeinsamkeiten und Unterschiede

Ombudschaft und Beschwerdeverfahren werden häufig in einem Kontext genannt. Unter anderen formulierten sowohl die Runden Tische „Heimerziehung“ und „Kindesmissbrauch“ als auch die Unabhängige Beauftragte zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs der Bundesregierung, Christine Bergman, in ihren Abschlussberichten, dass die Kinder- und Jugendhilfe Verantwortung trage für die Sicherung der Rechte junger Menschen auch in den eigenen Organisationen. Hierfür, so das Plädoyer, brauche es Anlaufstellen – einrichtungsintern und einrichtungsextern (Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe (Hg.) 2010; Runder Tisch Sexueller Kindesmissbrauch in Abhängigkeits- und Machtverhältnissen in privaten und öffentlichen Einrichtungen und im familiären Bereich 2011; Unabhängige Beauftragte zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs (Hg.) 2011). In der Praxis der externen, unabhängigen Ombudsstellen werden zwar nicht ausschließlich, aber doch in der überwiegenden Mehrheit Konflikte mit VertreterInnen öffentlicher Träger beraten. Beschwerdeverfahren in Einrichtungen hingegen richten sich auf Konflikte in der Einrichtung – Konflikte unter Kindern und Jugendlichen, zwischen Kindern bzw. Jugendlichen und BetreuerInnen und Kritik an strukturellen Gegebenheiten (Regeln, Ausstattung, Freizeitmöglichkeiten etc.). Die Gründung von unabhängigen Ombudsstellen wurde lange kritisch beäugt. Insbesondere bei öffentlichen Trägern gab es breite Vorbehalte: Hier würden freie Träger ihre Belegung absichern, Betroffene würden auch in unberechtigten Anliegen unterstützt und Fachkräfte der öffentlichen Träger ihrer Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeiten beraubt. Schon die der Gründung von Ombudsstellen zugrundeliegende Annahme, dass es auch in Jugendämtern zu rechtswidrigem Handeln kommen könne, empfanden viele als Affront (vgl. Berliner Rechtshilfefonds Jugendhilfe e.V. 2005). Solche Debatten gab es in Bezug auf einrichtungsinterne Beschwerdeverfahren nicht – jedenfalls nicht öffentlich. Auch hier gibt es jedoch Ängste und Vorbehalte von Fachkräften und die Sorge um einen Machtverlust, der das bisherige pädagogische Handeln und die Überlegenheit der BetreuerInnen gegenüber den Kindern und Jugendlichen infrage stellen könnte.

Beschwerdeverfahren in Einrichtungen haben mittlerweile eine klare gesetzliche Grundlage und können damit als abgesichert gelten. Offen ist, ob auch im Rahmen der Entgeltvereinbarungen entsprechende Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, um den Entwicklungsprozess und die Absicherung des Verfahrens im Alltag zu ermöglichen. Im Gesetz fehlt eine korrespondierende Verpflichtung, auch in Jugendämtern Beschwerdeverfahren zu entwickeln, die über die Instrumente des verwaltungsrechtlichen Verfahrens und der Dienstaufsichtsbeschwerde hinausgehen. Hier kommt Ombudsstellen eine besondere Bedeutung zu. Diese sind jedoch bisher gesetzlich nicht verankert, und eine weitere Herausforderung muss bedacht werden: Kinder- und Jugendhilfe in der Bundesrepublik Deutschland ist klar strukturiert zwischen öffentlichen Trägern mit dem Schwerpunkt der Steuerung und Gewährleistungsverantwortung auf der einen und den freien Trägern als Leistungserbringern auf der anderen Seite. Ombudsstellen haben den Anspruch, unabhängig von den Interessen freier und öffentlicher Träger zu agieren. Sie nehmen damit eine Rolle ein, die es bisher im System der Kinder- und Jugendhilfe nicht gibt. Was kann dieses „dritte“ neben öffentlichen und freien Trägern sein? Die Entwicklung eines solchen Weges ist eine der großen Herausforderungen, vor der diese Ombudsstellen derzeit stehen.

Ziel von Ombudsstellen und Beschwerdeverfahren ist es, Betroffenenrechte junger Menschen und ihrer Familien angesichts struktureller Machtasymmetrien zwischen HelferInnen und KlientInnen in der Kinder- und Jugendhilfe zu sichern. Hierfür reicht die Benennung von Ombudsstellen und die Beschreibung von Beschwerdeverfahren alleine jedoch aus. Vielmehr müssen Bedingungen geschaffen werden, die es den Betroffenen ermöglichen, diese Angebote auch in Anspruch zu nehmen. Dafür ist entscheidend, welche Informationen die Betroffenen über Beschwerdemöglichkeiten erhalten und mit welcher Haltung Fachkräfte ihnen diese vermitteln. Vermitteln BetreuerInnen in Heimen beispielsweise den Kindern und Jugendlichen glaubwürdig, dass sie sich beschweren dürfen? Oder wird ihnen im Alltag unterschwellig signalisiert, dass die Fachkräfte dies ablehnen, als Kränkung erleben und ihnen übel nehmen? Jugendliche, die Schwierigkeiten haben, ihre alltäglichen Pflichten in der Einrichtung zu erledigen und sich höflich auszudrücken – dürfen die sich über Anmaßungen von Betreuern beschweren? Eltern, die vom Alltag überfordert sind und ihre Kinder schlagen – dürfen sie die mangelnde Einbeziehung ihrer Sichtweise und Wünsche kritisieren? Und werden die Kinder, Jugendlichen und Eltern von den Fachkräften mit ihrer Sichtweise ernst genommen?

An diesen Beispielen wird deutlich: Eine Voraussetzung dafür, dass Ombudsstellen und Beschwerdeverfahren ihren Sinn erfüllen können, ist es, den Gedanken der Ombudschaft und des Rechts auf Beschwerde als Unterstützung von BürgerInnen in der Wahrnehmung ihrer Rechte auch in der Kinder- und Jugendhilfe zu verbreitern und die Akzeptanz der unterschiedlichen Akteure hierfür zu fördern.

 

Entwicklungsperspektiven

Hinsichtlich möglicher Entwicklungen sowie der damit verbundenen Chancen und Risiken muss zwischen den beiden Bereichen der externen, unabhängigen Ombudschaft und des einrichtungsinternen Beschwerdeverfahrens unterschieden werden.

Seit über zehn Jahren ringen Ombudsstellen um inhaltliche Anerkennung und strukturelle Absicherung. Die Arbeit erfolgt weitgehend auf der Basis von Projektfinanzierung von Stiftungen, überwiegend der Stiftung Aktion Mensch, sowie durch hoch qualifizierte, sich ehrenamtlich engagierende Fachkräfte. Eine verlässliche materielle Basis ist damit nicht gegeben. Jede Initiative muss individuell immer wieder aufs Neue ihre finanzielle Absicherung suchen. Auch strukturell gibt es weder eine Absicherung der bestehenden Initiativen noch eine verlässliche Sicherung des Beratungsangebots. Es bleibt daher dem vor Ort gegebenen Engagement Einzelner überlassen, ob es in einer Region eine ombudschaftliche Beratung und eine Ombudsstelle gibt oder nicht. 2012 erstellte Reinhard Wiesner im Auftrag des Bundesnetzwerks Ombudschaft in der Jugendhilfe ein Gutachten zu der Frage, in welcher Weise eine gesetzliche Absicherung ombudschaftlicher Beratungsansprüche im SGB VIII zu begründen wäre sowie in welcher Form die Gewährleistung des Zugangs zu einer unabhängigen ombudschaftlichen Beratungs- und Beschwerdestelle für junge Menschen und ihre Familien geregelt und damit eine gesetzliche Aufgabenzuweisung von Ombudschaft im SGB VIII ermöglicht werden kann (Wiesner 2012). Wiesner hebt in seinem Gutachten die duale Struktur der Trägerlandschaft hervor und beschreibt die Notwendigkeit, Ombudsstellen hiervon möglichst unabhängig zu gestalten. Gleichzeitig kennt die Kinder- und Jugendhilfe bisher keine von den Interessen der am Leistungsdreieck Beteiligten unabhängige Institution. Er schlägt schließlich die Anbindung an den Jugendhilfeausschuss vor als den Ort, der traditionell zumindest der Vermittlung dieser unterschiedlichen Interessen und der demokratischen Mitwirkung von BürgerInnen dient (ausführlicher hierzu: Schruth 2014).

Erste Bundesländer machen sich nun tatsächlich auf den Weg, zu einer landesinternen Lösung zu kommen. So hat das Land Berlin Ende 2013 eine Berliner Beschwerde- und Ombudsstelle für die Kinder- und Jugendhilfe ausgeschrieben, und Baden-Württemberg hat Anfang 2014 zumindest eine Grundentscheidung in diese Richtung getroffen. Diese Entwicklung erscheint zunächst positiv: Politische Entscheidungen sichern die Gewährleistung von Ombudsstellen und die öffentliche Hand stellt, teilweise gemeinsam mit freien Trägern, finanzielle Mittel hierfür zur Verfügung. Es können Fachkräfte für ihre hoch qualifizierte Arbeit bezahlt werden. So positiv diese Absicherung ist – es liegen auch Risiken in dieser Entwicklung. Zwei Überlegungen möchte ich hier ansprechen. Die erste betrifft die Unabhängigkeit: Wer kann im Bereich vom Ombudschaft als von freien und öffentlichen Trägern unabhängiger Akteur tätig werden und wie kann diese Unabhängigkeit in einem von Auftraggebern zuwendungsfinanzierten Projekt gesichert werden? Sowohl die Frage, wer Träger einer solchen Ombudsstelle sein kann, wäre zu überdenken, als auch die Finanzierungsform, etwa die Absicherung durch eine Stiftung statt durch reguläre Haushaltsmittel. Die zweite Überlegung zu möglichen Risiken betrifft die mit der strukturellen Absicherung verbundene Verberuflichung des Feldes. Auf den ersten Blick ist diese zu begrüßen. Ombudschaftliche Beratungsarbeit braucht professionelle BeraterInnen und ist langfristig auf hauptamtliche Akteure, KoordinatorInnen und Verantwortliche angewiesen. Gleichzeitig muss man jedoch bedenken, dass jede Verberuflichung die Akteure in die gleichen Interessenskonflikte führt, wie es in anderen Arbeitsbereichen auch der Fall ist: Wie können sich hauptamtliche MitarbeiterInnen vom Interesse der Stellenerhaltung distanzieren, Konflikte mit Geldgebern austragen und Einflussnahmeversuche – von allen Seiten – abwehren? Ehrenamtlichkeit und die Widerständigkeit bürgerschaftlichen Engagements sind daher nicht nur Zeichen sozusagen der „Selbstausbeutung“ von Fachkräften im sozialen Bereich, sondern auch eine wichtige Säule von Unabhängigkeit. Die Entwicklung der strukturellen Absicherung ist daher sowohl notwendig als auch mit einer gewissen Ambivalenz verbunden.

Auch im Bereich der Beschwerdeverfahren in Einrichtungen ergeben sich Herausforderungen. Die rechtliche Festschreibung von Möglichkeiten der Beteiligung und Beschwerde als inhaltliche Kriterien für die Erteilung einer Betriebserlaubnis zeigt die Bedeutung, die aus politischer Sicht der Sicherung der Rechte junger Menschen in Einrichtungen zukommt und ist damit ein wichtiges Symbol. Schwieriger ist es jedoch sicherzustellen, dass mit dem Angebot von Möglichkeiten der Beteiligung und Beschwerde das damit verbundene Ziel, die Sicherung der Rechte junger Menschen in Einrichtungen, auch tatsächlich erreicht wird. Die Implementierung einrichtungsinterner Beschwerdeverfahren erschöpft sich nicht in der Bereitstellung formeller Strukturen zur Beschwerdeäußerung. Die eingangs zu diesem Beitrag beschriebenen Ambivalenzen verdeutlichen vielmehr, dass Beschwerden ein beträchtliches Konflikt- und Kränkungspotenzial aufweisen. Die Implementierung von Beschwerdeverfahren in Einrichtungen ist daher gezielt als ein Prozess zu gestalten, in dem eine intensive Auseinandersetzung auch mit Widerständen, Ängsten und Sorgen der beteiligten Fachkräfte stattfindet. Die Einführung eines Beschwerdeverfahrens ist zudem als langfristiger Prozess zu denken, der letztlich niemals als abgeschlossen betrachtet werden kann. Das Thema muss auch nach der Einführung lebendig bleiben und das Verfahren ggf. an strukturelle oder personelle Veränderungen in der Einrichtung angepasst werden (vgl. Urban- Stahl/Jann 2014).

Betrachtet man die Implementierung von Beschwerdeverfahren als einen solchen Prozess, so ist zu klären, was im Rahmen des Betriebserlaubnisverfahrens geprüft werden kann: Das Vorliegen von Konzepten zu Beteiligung und Beschwerde oder die Umsetzung dessen? Die formale Erfüllung der Vorgaben oder das Ringen um eine veränderte Haltung von Fachkräften und eine demokratische und wertschätzende Einrichtungskultur? Die „Heimaufsicht“ als zuständige Stelle ist gefordert, hierzu Konzepte für Entwicklungsvereinbarungen und Entwicklungsgespräche im Rahmen des Betriebserlaubnisverfahrens zu entwickeln. Dabei ist sie jedoch auf eine ausreichende personelle Ausstattung angewiesen – was derzeit nicht immer gegeben ist.

Die eingangs beschriebene spannungsreiche Struktur der Sozialen Arbeit zeigt, dass es nicht alleine als Verantwortung der KlientInnen verstanden werden kann, auf die Wahrung ihrer Subjektstellung und ihrer Rechte zu drängen. Vielmehr liegt es in der Verantwortung der Fachkräfte, im Sinne von Anwaltschaft tätig zu werden: Das „doppelte Mandat der Sozialen Arbeit, die eigene Machtposition in der Helfer-Klient-Beziehung und gesellschaftliche Rahmenbedingungen der Problemlagen, mit denen sie konfrontiert werden, zu reflektieren, hierbei die Perspektive der KlientInnen einzubeziehen und Konsequenzen für das eigene Handeln abzuleiten, die die weitestmögliche Verwirklichung der Selbstbestimmungsrechte der KlientInnen gewährleisten“ (Urban-Stahl 2013: 4). Diese Auseinandersetzung ist wichtig, kann aber keine (Auf-)Lösung der strukturellen Ambivalenzen bieten. Auch die Ideen der Ombudschaft, der Beteiligungs- und Beschwerdeverfahren können dies nicht bieten. Vielmehr gilt es zu verhindern, dass diese Konzepte im Rahmen ihrer Etablierung ausgehöhlt und ihres widerständigen Potenzials entkleidet werden. Kein Konzept ersetzt die fachliche Verantwortung und Selbstverpflichtung zu anwaltschaftlichem Handeln (vgl. Urban-Stahl 2013: 8 f.).

 

Literatur

  • Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ (Hg.) (2010): Abschlussbericht des Runden Tisches „Heimerziehung in den 50er- und 60er-Jahren“. Berlin.
  • Berliner Rechtshilfefonds Jugendhilfe e.V. (2005): Berliner Rechtshilfefonds Jugendhilfe e.V. – Drei Jahre Lobbyarbeit für junge Menschen und ihre Familie. Text: Ulrike Urban. Berlin (http://brj-berlin.de/wp-content/uploads/2014/03/Berliner_Rechts- hilfefonds_Jugendhilfe_e.V._3_Jahre_04.pdf), Zugriff am 17.02.2014).
  • Berliner Rechtshilfefonds Jugendhilfe e.V. (2012a): 10 Jahre Ombudschaft in der Berliner Jugendhilfe. Berlin (http://brj-berlin.de/wp-content/uploads/2014/03/Berliner_ Rechtshilfefonds_Jugendhilfe_e._V. 10-Jahre-Ombudschaft.pdf, Zugriff am 17.02.2014).
  • Berliner Rechtshilfefonds Jugendhilfe e.V. (2012b): Niedrigschwellige Beratungskonzepte für Ombudsstellen der Jugendhilfe. Strategien, Erfahrungen, Handlungsempfehlungen. Text: Silvana Kathmann und Ulli Schiller. Berlin (http://brj-berlin.de/wp-content/ uploads/2014/04/Abschlussbroschuere-Niedrigschwellige-Beratunsgkonzepte-fu%CC%88r-Ombudsstellen-der-Jugendhilfe.pdf, Zugriff am 17.02.2014).
  • Heiner, M. (2010): Soziale Arbeit als Beruf. Fälle – Felder – Fähigkeiten. München.
  • Kucsko-Stadlmayer, G. (2008): Europäische Ombudsman-Institutionen. Eine rechtsvergleichende Untersuchung zur vielfältigen Umsetzung einer Idee. Wien/New York.
  • Runder Tisch Sexueller Kindesmissbrauch in Abhängigkeits- und Machtverhältnissen in privaten und öffentlichen Einrichtungen und im familiären Bereich (2011): Abschlussbericht. Berlin.
  • Schruth, P. (2014): Zur Implementierung (externer) ombudschaftlicher Strukturen in der Kinder- und Jugendhilfe. In: Zeitschrift für Sozialpädagogik, Heft 1/2014.
  • Unabhängige Beauftragte zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs (Hg.) (2011): Abschlussbericht der Unabhängigen Beauftragten zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs, Dr. Christine Bergmann. Berlin.
  • Urban-Stahl, U. (2011): Ombuds- und Beschwerdestellen in der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland. Beiträge zur Qualitätsentwicklung im Kinderschutz Nr. 1. Herausgegeben vom Nationalen Zentrum Frühe Hilfen. Köln.
  • Urban-Stahl, U. (2013): Anwaltschaft. In: Otto, H.-U./Thiersch, H. (Hg.): Handbuch Soziale Arbeit. 4. Auflage/elektr. Zusatzbeitrag. München/Basel (http://www.handbuch-soziale-arbeit.de/katalog/titel/52054/)
  • Urban-Stahl, U./Jann, N. (2014): Beschwerdeverfahren in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe. München.
  • Wiesner, R. (2012): Implementierung von ombudschaftlichen Ansätzen der Jugendhilfe im SGB VIII. Rechtsgutachten für die „Netzwerkstelle Ombudschaft in der Jugendhilfe“ des Berliner Rechtshilfefonds Jugendhilfe e.V. Berlin (http://www.initiative- habakuk.de/fileadmin/media/dokumente/kinderrechte/Rechtsgutachten_Reinhard- Wiesner_2012.pdf, Zugriff am 17.02.2014).
  • Wolf, K. (2007): Zur Notwendigkeit des Machtüberhangs in der Erziehung. In: Kraus, B./Krieger, W. (Hg.): Macht in der Sozialen Arbeit. Interaktionsverhältnisse zwischen Kontrolle, Partizipation und Freisetzung. Lage, S. 103–141.