Handynutzung in Kinder- und Jugendheimen
Ein Praxisforschungsprojekt der IGfH mit der Fachhochschule Frankfurt am Main
Das Projekt untersuchte die Handynutzung von Jugendlichen in Einrichtungen der Jugendhilfe. Dabei wurde das Userverhalten ebenso erforscht sowie die Frage, wie professionelle Sozialarbeit mit dieser Nutzung umgeht. Es wurde untersucht, ob und inwieweit professionelle Soziale Arbeit die Teilhabe- und Kompetenzmöglichkeiten der Handynutzung durch Jugendliche in pädagogischen Konzepten aufgreifen, um damit ihrem Bildungs- und Integrationsauftrag (Verselbständigung, Medienkompetenz, Teilhabe) nachkommen kann. Das Forschungsprojekt wurde in Kooperation mit der Fachhochschule Frankfurt am Main sowie in enger Kooperation mit Praxispartnern aus der Region durchgeführt. Folgende Einrichtungen haben das Projekt durch ihre Teilnahme an der empirischen Untersuchung aktiv unterstützt: EVIM Jugendhilfe Wiesbaden, VAE Jugendwohngruppe Frankfurt, Städtisches Kinderheim Aschaffenburg, Reinhardshof Jugendhilfe Frankfurt sowie Jugendhilfe gGmbH Marbach, Marburg.
Das Praxisforschungsprojekt umfasste verschiedene Aktivitäten im Rahmen eines mehrperspektivischen Forschungsansatzes. Dabei wurden sowohl quantitativ-empirische wie auch qualitativ-empirische Zugänge angewendet, die sich auf unterschiedliche Akteure im Rahmen der Erkenntnis leitenden Fragestellung bezogen.
Zunächst wurde eine Literaturrecherche durchgeführt, um unter Berücksichtigung der Fragestellung einen Überblick über den aktuellen Diskussionsstand zu gewinnen. Dabei wurden auch Datenbank- und Internetrecherche betrieben.
Erster Forschungszugangs: Expertendiskussion
Im Rahmen einer Fokusgruppe wurden Experteninterviews durchgeführt. Eine Fokusgruppe bezeichnet eine Gruppe von 5-10 i.d.R. nicht miteinander bekannter Expert/innen, die sich an einer einmaligen, zeitlich begrenzten Diskussion unter der Leitung eines Moderators (Forschers) beteiligen. Die Teilnehmer der Fokusgruppe verbinden ihr Expertenstatus sowie ihr Interesse an einem zuvor definierten Untersuchungsgegenstand. Die Diskussionsbeiträge der Fokusgruppen-Diskussion wurden aufgezeichnet und hinsichtlich der relevanten Themen der Fragestellung ausgewertet. Diese Forschungsmethode wurde genutzt, um das bisher wenig explorierte Thema zu rahmen, Schwerpunkte und besonders relevante Teilaspekte zu identifizieren sowie Leitfragen für den weiteren Forschungsprozess (Fragebogen, Beobachtungsprotokoll) zu gewinnen. Für die Fokusgruppe wurden Experten aus den Bereichen Medienwissenschaften und Medienpraxis, Jugendforschung, Heimerziehung (Praktiker und Wissenschaftler) eingeladen.
Zweiter Forschungszugang: Quantitative Befragung (Fragebogen)
Aufbauend auf die Erkenntnisse, die im Rahmen der Fokusgruppe gewonnen wurden, wurde ein Fragebogen entwickelt und eine empirisch-quantitative Befragung von Fachkräften durchgeführt. Es konnten 150 Fachkräfte der Erziehungshilfen erreicht werden, deren Rücklauf in die Untersuchung Eingang fand. Vorab wurde ein Pretest durchgeführt. Abschließend wurden die Fragebögen nach einem gängigen Verfahren der empirischen Sozialforschung ausgewertet.
Dritter Forschungszugang: Selbstbeobachtungsprotokolle
Des Weiteren wurden selbstevaluierende Beobachtungsprotokolle an Jugendliche, die in Wohngruppen nach § 34 SGB VIII (Heimerziehung) leben ausgehändigt und ausgewertet. Bei selbstevaluierenden Beobachtungsprotokollen werden die Probanden gebeten, sich im Rahmen von Protokollnotizen hinsichtlich eines bestimmten Verhaltens selber zu beobachten. Im Rahmen dieses Forschungsprojekts wurden 21 Jugendliche aus vier Einrichtungen der Jugendhilfe gebeten, über einen Zeitraum von drei Wochen hinweg sowohl ihr eigenes Handy-Nutzungsverhalten zu beobachten und zu notieren als auch die Reaktion auf dieses Nutzungsverhalten. Aufgrund der sehr hohen Rücklaufquote (von etwa 93 Prozent) konnten schließlich über 400 Selbstbeobachtungsprotokolle für die Ergebnisauswertung berücksichtigt werden.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die kommunikativen Funktionen bei der Handynutzung aus Sicht der Jugendlichen deutlich überwiegen, auch wenn das die Fachkräfte teilweise nicht so einschätzen. Des Weiteren stellt das Handy das Außenkommunikationsmittel für die Jugendlichen da. Widersprüchliche Ergebnisse traten beim Thema Handy-Abgabe als Regel bzw. Strafe auf. Eine Überschuldung der Jugendlichen aufgrund des Handys konnte im Rahmen dieses Forschungsprojektes nicht festgestellt werden. Das Handy wird von den Fachkräften zu 90 % als wichtig angesehen, in den Antworten der Fachkräfte wird aber diese Wichtigkeit für die Jugendlichen nicht so deutlich, vor allem weil die Hauptnutzung (kommunikative Funktion) von den Fachkräften als nicht besonders relevant eingeschätzt wird. Die Einschätzung bezüglich des Fortbildungsbedarfs wird eher skeptisch eingeschätzt. Auch die Einschätzung der Fachkräfte über die Folgen des Handys für den Heimalltag ist einerseits different und stellt teilweise einen Widerspruch dar zu anderen Ergebnissen der Untersuchung.
Zentrale Ergebnisthesen aus dem Projekt lauten:
- Das Handy als Außenkommunikationsmittel für Jugendliche erkennen und bewusst wahrnehmen! Die eigenen Annahmen über jugendliche Handynutzung (selbst-)kritisch überprüfen.
- Regeln und Strafen im Umgang mit dem Handy werden von Fachkräften und Jugendlichen in betreuten Wohnformen unterschiedlich eingeschätzt und bewertet – ein Perspektivenabgleich dieser „zwei Kulturen“ ist wichtig!
- Der Alltag in der Heimgruppe verändert sich durch die Handynutzung und die („ungesteuerten“) Außenkontakte nehmen zu. Die (unterschiedlichen) Wahrnehmungen und Bewertungen dazu müssen zum offenen Thema gemacht werden!
- Aufklärung und Selbstreflexion hinsichtlich von Kontrollbedürfnissen von Erwachsenen bei der jugendlichen Handynutzung (unter den Bedingungen der Heimunterbringung) ist gefragt!
- Durch die Handynutzung verändern sich die Eltern-Kind-Kontakte und damit der Heimalltag.
Die Ergebnisse des Projekts wurden im Rahmen einer Abschlussveranstaltung (27.03.2012 an der FH Frankfurt) den Kooperationspartnern, interessierten Fachkräften, Lehrenden und Studierenden präsentiert und hinsichtlich der Auswirkungen auf den Umgang mit Mediennutzung in der Jugendhilfe gemeinsam diskutiert. An der Veranstaltung nahmen auch beteiligte Jugendliche teil.