Den eigenständigen Rechtsstatus von Care Leaver*innen stärken!
Seit mehr als zehn Jahren treten die Internationale Gesellschaft für erzieherische Hilfen ( IGfH ) und das Institut für Sozial- und Organisationspädagogik der Universität Hildesheim für die Stärkung der Rechte von Care Leaver*innen in Deutschland ein. Zusammen mit Selbstvertretungen von Care Leaver*innen sowie anderen Fachorganisationen fordern wir seit einigen Jahren, einen eigenen Rechtsstatus „Leaving Care“ ins SGB VIII aufzunehmen, der die Rechte von Care Leaver*innen bis zu ihrem 27. Lebensjahr in der Kinder- und Jugendhilfe sichert.
- Der vorgelegte Referentenentwurf (REF-E) geht einen großen Schritt hin zu einem eigenständigen Rechtsanspruch von Care Leaver*innen und ist aus unserer Sicht darum sehr zu unterstützen und zu begrüßen!
Der § 41 SGB VIII-REF-E ist als individueller und verpflichtender Rechtsanspruch entworfen und sichert damit Hilfen bis zum 21. Lebensjahr zu. Nach dem 21. Lebensjahr sind weiterhin Hilfen zu bewilligen, soweit diese begründet sind. Die Rückkehroption in eine Hilfe (sog. Coming-Back-Option), die im bisherigen Gesetz auch angelegt ist, wird noch einmal leistungsrechtlich unterstrichen. Zudem wird die sog. Nachbetreuung gestärkt und es sind zukünftig Selbstvertretungen – wie der Careleaver e. V. – überregional und regional zu fördern. Weiterhin sollen durch das Gesetz die Schnittstellen zwischen den Sozialleistungsträgern in der Übergangsbegleitung ins Erwachsenenalter geklärt und dadurch Versorgungs- und Leistungslücken geschlossen werden. Nicht zuletzt soll die Kostenheranziehung auf 25 Prozent abgesenkt werden. Diese Veränderungen zeigen, dass im vorgelegten SGB VIII-REF-E die häufig prekäre Lebenslage von Care Leaver*innen anerkannt und ein entschiedener Verbesserungsbedarf gesehen wird.
Mit dieser Stellungnahme möchten wir auf vier Punkte aufmerksam machen, die aus unserer Sicht im weiteren Beratungs- und Gesetzgebungsprozess zu reflektieren sind:
- Der im § 41 SGB VIII-REF-E jetzt zentral fokussierte Begriff „Persönlichkeitsentwicklung“ verstärkt die vielfach beschriebene Tendenz, dass junge Volljährige sich selbst im Hilfeplanungsprozess als defizitär erfahren müssen. Es wird nicht explizit auf die selbstbestimmte soziale Teilhabe, z. B. am regulären Ausbildungs- und Bildungssystem abgehoben. Wir treten dafür ein, dass Hilfen nicht gegen den Willen von jungen Menschen beendet werden dürfen, wenn sie in der beruflichen Ausbildung sind, zur Schule gehen, studieren, einen Freiwilligendienst absolvieren oder sich im Übergang zwischen einzelnen Qualifikationsabschnitten befinden sowie ihre existenzielle Zukunft (Wohnen etc.) nicht gesichert ist. Der Anspruch auf Weiterbewilligung von Hilfen für junge Volljährige, wenn eine Hilfe geeignet und notwendig ist, um Bildungsprozesse zu stabilisieren, muss verdeutlicht werden.
- Es ist sehr zu begrüßen, dass die Schnittstellen zwischen den Sozialleistungsträgern, insbesondere im Hilfeplanverfahren, zukünftig geklärt werden. In diesem Zusammenhang möchten wir aber anregen, zwischen sog. Anschlusshilfen und kooperierenden bzw. ergänzenden Leistungen oder Hilfen zu unterscheiden. Hilfen nach SGB IX können Anschlusshilfen sein, Angebote des Jobcenters sind aber keine Anschlusshilfen, sondern kooperative oder ergänzende Hilfen zur Sicherung der Beschäftigungsfähigkeit oder zur Existenzsicherung. Der Auftrag, eine selbstbestimmte soziale Teilhabe zu ermöglichen, bleibt in der Zuständigkeit des SGB VIII. Dies ist – aus unserer Sicht –– im Gesetz deutlich zu differenzieren.
- Weiterhin ist hervorzuheben, dass auch bei jungen Volljährigen nicht zwischen jungen Menschen mit und ohne Behinderungen differenziert wird. Vielmehr gilt es, stärker eine inklusive Übergangsgestaltung im jungen Erwachsenenalter zu ermöglichen. Bisher bleiben die Regelungen für junge Volljährige mit Behinderungen unklar. Gerade im jungen Erwachsenenalter entscheidet sich, wie die soziale Teilhabe im regulären institutionellen Gefüge des Ausbildungs- und Arbeitsmarktes gelingt. Auch vor diesem Hintergrund scheint das Festhalten an der bisherigen Regelbestimmung bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres den aktuellen Lebenslagen junger Volljähriger nicht mehr zu entsprechen (siehe 15. Kinder- und Jugendbericht, BMFSFJ 2017) und müsste deutlich erweitert werden.
- Weiterhin ist – wie oben erwähnt – die Absenkung der Kostenheranziehung sehr zu begrüßen. Allerdings stellt sich die Frage, warum die Kostenheranziehung für die jungen Menschen nicht ganz abgeschafft wird. Es hat weder einen erzieherischeren Effekt noch ist es ein Symbol der Gleichbehandlung, wenn junge Menschen einen Teil ihres Einkommens abgeben müssen. Ein Symbol wäre es allerdings für die jungen Menschen, wenn die Kostenheranziehung auf null Prozent gesetzt würde. Dies würde im Nebeneffekt auch Verwaltungskosten einsparen.
Insgesamt möchten wir alle Entscheidungsträger*innen und Beteiligten an dem Gesetzgebungsverfahren und in den Beratungsprozessen ermutigen, mit dem „Gesetz zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen“ die Rechte von Care Leaver*innen zu stärken und die im SGB VIII-REF-E formulierten Weichenstellungen zu unterstützen!
Carolin Ehlke, Josef Koch, Katharina Mangold, Tabea Möller, Britta Sievers, Severine Thomas, Wolfgang Schröer
Hildesheim und Frankfurt am Main, den 24.10.2020
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