Biografisches Arbeiten - Material- und Linksammlung
Wenn die Redaktion von Forum Erziehungshilfen ein Schwerpunktthema plant, so kann dies aus mehreren Gründen geschehen: Wir wollen ein fachlich brisantes Thema aufgreifen, wir wollen einem wenig beachteten Thema zu mehr Öffentlichkeit verhelfen, wir greifen ein Thema auf, das „in aller Munde ist“ und versuchen es kritisch auszuloten. Bei der Entscheidung für das Thema „Biografisches Wissen“ trafen mehrere dieser Kriterien zu.
In den Erziehungshilfen haben wir es mit sehr individuellen Problemlagen, Interessen und Perspektiven von jungen Menschen oder Lebensgemeinschaften zu tun, sodass Konzepte und Methoden zunehmend wichtiger werden, die für die biografischen Besonderheiten sensibel sind, die an biografischen Potenzialen und Ressourcen ansetzen können. Biografisches Wissen meint somit immer auch die Anregung zur Selbstvergewisserung und zwar des Hilfe-Adressaten oder der Hilfe-Adressatin und des Pädagogen oder der Pädagogin. Biografisches Wissen impliziert geronnene – vielleicht problematische - Erfahrung aus Erlebenssituationen im bisherigen Leben eines Menschen im Wege der Kommunikation wieder „verflüssigen“ und darüber auch zur Entdeckung neuer individueller Handlungsmöglichkeiten beizutragen.
Die Anregung zu dieser „Verflüssigung“ durch das biografische Erzählen und Erinnern in der sozialpädagogischen Interaktion ist häufiger Thema in Forschungskontexten, weniger in der praktischen Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Familien. Dennoch wissen viele sozialpädagogisch Tätige in den Erziehungshilfen wie wichtig eine biografisch-verstehende Perspektive für die Aufarbeitung von mangelnden Ressourcen und Belastungen, aber zugleich für die Entdeckung von Unterschieden und Gemeinsamkeiten ist. Das vorliegende Heft versucht in fünf Beiträgen dem großen Spektrum der angerissenen Themenaspekte gerecht zu werden, indem theoretische Fragestellungen als auch Praktikabilitätsüberlegungen und methodische Anregungen aufgegriffen werden.
Mechthild Wolff und Claudia Daigler skizzieren zunächst die Spannbreite des Themas und des vorliegenden Heftes. Winfried Marotzki und Sandra Tiefel fragen in einem Grundsatzbeitrag nach dem Anregungsgehalt biografieanalytischer Forschung für die pädagogische Praxis. Konzeptionell-fachliche Perspektiven diskutieren dann unter dem migrationsspezifischen Hintergrund Jan Kizilhan und unter geschlechtsspezifischen Fragestellungen Norbert Wieland. Barbara Waibel und Claudia Daigler zeigen an einem Praxisbericht, wie biografische Arbeitsansätze in die sozialpädagogische Betreuungs- und Begleitungsarbeit bei einer jungen Frau eingehen können, während Birgit Lattschar am Beispiel der Erstellung eines Lebensbuches methodisch-praktische Hinweise zu einer biografischen Arbeitsweise mit Kindern gibt.
Deutlich wurde in den Diskussionen der Redaktion, dass die für eine pädagogische Biografiearbeit erforderlichen Kompetenzen und Wissensbestände viele Professionelle eher „nebenbei“ erwerben und es wenig systematische Fort- und Weiterbildungsangebote gibt. Zum Zweiten beschäftigte uns die Frage, wie kompatibel biografisches Arbeiten im Sinne eines verstehenden sozialpädagogischen Arbeitens und der Stellenwert des biografischen Wissens mit derzeitigen Entwicklungen im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe ist. Diese Frage wird in den vorliegenden Beiträgen an der einen oder anderen Stelle nur gestreift. Gerade angesichts anhaltender sozialpolitischer Kämpfe, die um den notwendigen Ausbau der Kinder- und Jugendhilfe gefochten werden müssen, drohen Fragen eines besseren Verstehens von Hilfe-AdressatInnen und eine Professionalisierung fallverstehender Methoden in den Hintergrund gerückt zu werden. Für eine unter Druck geratene Landschaft der Erziehungshilfen ist Zeit zu einem kostbaren Gut geworden. Sozialpädagogische Biografiearbeit kostet aber Zeit und kann schnell im Widerspruch stehen zu den - derzeit häufig aus Kostengründen propagierten - kurzen und schnellen Hilfen. Sie erfordert Geduld, intensive Reflexion und professionelles Können.
Claudia Daigler, Josef Koch, Mechthild Wolff
Aus dem Inhalt
Mechthild Wolff, Claudia Daigler:
Arbeiten mit Biografien in den Erziehungshilfen - Eine Einleitung
Winfried Marotzki, Sandra Tiefel:
Biografische Arbeit als pädagogische Herausforderung
Jan Kizilhan:
Migrationserfahrungen als Ausgangspunkt von Biografiearbeit
Norbert Wieland:
Biografie und Gender: Biografisches Arbeiten in einer jungenspezifischen Erziehungshilfe
Barbara Waibel, Claudia Daigler:
"Damit mein Kind ... ich weiß nämlich nichts über meine Herkunft" - Ein Praxisbericht
Birgit Lattschar:
"Das Buch über mich" - Biografiearbeit anhand eines Lebensbuches
Britta Sievers:
Praxisforschungsprojekt Internationaler Kinderschutz. Die Bedeutung der Verordnung Brüssel II a und des Haager Kinderschutzübereinkommens für die Jugendhilfe
Maud Zitelmann:
Erste Streiflichter im Dunkelfeld - Forschungsnotizen zur vorläufigen Heimunterbringung
Klaus Wolf:
Pädagogische Mitarbeiterinnen als Potenziale im Lebensfeld von Kindern - Anfragen an professionelle Erziehung (in Lebensgemeinschaften)
Gila Schindler:
Minderjährige Mütter sind mehr als Mütter. Abgrenzung zwischen Hilfen in Mutter-Kind-Einrichtungen und in Einrichtungen der Erziehungshilfe
PFAD Bundesverband:
Offener Brief zur Gefährdung von Pflegeverhältnissen durch Hartz IV