Dokumentation pädagogischer Arbeit

ForE 3-2001

Ein kompliziert verlaufenes Hilfeplangespräch zu protokollieren, über ein Mädchen, das aus der Wohngruppe ausgezogen ist, einen Abschlussbericht für das Jugendamt zu schreiben, geleistete Fachleistungsstunden aufzuschreiben und wieder einmal zu überlegen, ob und wie das eineinhalbstündige abendliche Telefonat mit der Lehrerin verbucht werden kann - das sind Arbeiten, bei denen „so richtig Freude aufkommt“. Nach meinem Eindruck gibt es jedenfalls kaum einen Bereich, der bei KollegInnen, sei es von Einrichtungen und Diensten der Erziehungshilfe oder aus Jugendämtern, unbeliebter ist als der „Schreibkram“.

Dabei ist das Dokumentieren selbstverständlicher Bestandteil professioneller pädagogischer Arbeit, ja ist geradezu konstitutiv für „öffentliche Erziehung“, denn Entscheidungen müssen über Schriftstücke auch für Dritte nachvollziehbar gemacht werden, über vereinbarte Ziele muss ein gewisses Maß an Verbindlichkeit hergestellt und Hilfsprozesse müssen transparent gemacht werden.

Doch Dokumentieren in den Erziehungshilfen umfasst wesentlich mehr, darauf weist insbesondere Jürgen Blandow in seinen einleitenden und Rahmen gebenden „Reflexionen über Sinn und Zweck, Voraussetzungen und Problemen“ von Dokumentationen hin: Informations- und Dokumentationssysteme werden zudem für die institutionsinterne fachliche und organisatorische Abstimmung benötigt (vom Dienstplan bis zum Gruppentagebuch), sie werden für die Qualifizierung von Fallverstehen und eigener Arbeit benötigt, wie z.B. bei aufgezeichneten und dann im Team ausgewerteten biografischen Interviews mit Jugendlichen (vgl. Mollenhauer/Uhlendorff: Sozialpäd. Diagnosen), schließlich können sie direkt für pädagogische Prozesse genutzt werden, wie z.B. die „Life-story-books“, die - gewissermaßen als intensiveres Fotoalbum gestaltet - Jugendlichen zur Aneignung ihrer Biografie verhelfen können.

Wie fruchtbar es ist, sich selbst und seinen KollegInnen gegenüber schriftlich zu berichten über die alltäglichen Abläufe, Probleme und Stimmungen, zeigt der Beitrag von Werner Freigang und Evelyn Theil, die Gruppentagebücher einer Wohngruppe ausgewertet haben. Das Aufschreiben kann zum einen dem/der AutorIn helfen, Prozesse im Nachhinein für sich zu ordnen, zum anderen sind die zeitnah zum Geschehen erstellten ungeschminkten Darstellungen guter Stoff für eine spätere Auswertung im Team. Freigang/Theil plädieren daher für eine stärkere Nutzung solcher Aufzeichnungen für die Reflexion der alltäglichen Probleme in Wohngruppen.

Freilich: So unproblematisch wie beim Gruppentagebuch ist der Verwendungszusammenhang von Dokumenten nicht immer, insbesondere wenn sie Eingang in die Jugendamtsakte nehmen. Christian Niemeyer hat vor einigen Jahren in dieser Zeitschrift (ForE 4/1996) in beklemmender Weise rekonstruiert, wie der „störende“ Robert aktenmäßig schlecht geschrieben wurde, wie sich bei ihm vage gutachtliche Vermutungen (z.B. hinsichtlich einer hirnorganischen Störung) in Folgegutachten im Sinne einer Wanderlegende verselbständigten. Nur darf das Wissen um die Gefahr nur negativer Etikettierung nicht dazu führen, dass nichts oder nur noch Belangloses aufgeschrieben wird (à la „wir schreiben keine Entwicklungsberichte mehr, wir machen ja jetzt Hilfeplangespräche“)!

Berichte müssten Jürgen Blandow zufolge wahrhaftig und taktvoll sein - ob sich diese wichtige fachliche Anforderung allerdings unter ökonomisierten Bedingungen durchhalten lässt? Denn wie gut passen z.B. (berichtete) Verzweiflung und Fehlschläge in eine kontraktuell versprochene „effiziente Hilfeleistung“? Der Bericht von Hagen Gneuß über ein betriebswirtschaftlich dominiertes Dokumentationssystem flexibler Erziehungshilfen holt die Debatte insofern wieder auf den Boden der Tatsachen zurück.

Das vorliegende Heft will dennoch Mut machen und Anregungen geben, sich des wichtigen Themas neu anzunehmen. Im Herbst plant die IGfH ein ExpertInnengespräch zu diesen Fragen, das dann auch hier nicht behandelte Themen (Vorteile und Probleme EDV-gestützter Dokumentationssysteme, Datenschutz, Partizipation) aufgreifen wird.

Wolfgang Trede

 

Aus dem Inhalt

Monika Weber:
Jugendhilfe ans Netz!

Jürgen Blandow:
Dokumentationen in der Heimerziehung. Reflexionen über Sinn und Zweck, Voraussetzungen und Probleme

Werner Freigang, Evelyn Theil:
Dokumente des pädagogischen Alltags – Gruppentagebücher einer Wohngruppe

Hagen Gneuß:
Stundennachweise über geleistete Fachleistungsstunden - Eine geeignete Form der Dokumentation im Bereich ambulanter Flexibler Erzieherischer Hilfen?

Thomas Gabriel:
Dokumentation und Evaluation in der Jugendhilfe - Das Modell der englischen „Looking after Children” - Initiative (LaC)

Hans Leitner:
Sein oder nicht sein? - Eine Einladung zum Nachdenken!

Sabrina Hoops, Hanna Permien:
„Die Polizei kann mir nichts tun, ich bin ja erst 13!“ Wie gehen Eltern und Jugendhilfe mit der Delinquenz von Kindern um?