Drogen

ForE 5-1998

Was fällt uns bei diesem Thema spontan ein? Die Kollegin, die nach jedem Dienstschluß erst  mal ein Bier und einen Longdrink braucht, um zu entspannen? Oder denken wir an den Kollegen mit Tablettenproblemen, oder an die Teams mit einem Zigarettenverbrauch zwischen einem und zwei Päckchen am Tag, die nichts intensiver debattieren als die neuesten Entwöhnungsprogramme? Wohl eher nicht. Der Blick richtet sich vermutlich vielmehr auf drogenkonsumierende Kinder und Jugendliche, und hierbei insbesondere auf diejenigen, die illegale, aber dennoch in den Jugendszenen weitverbreitete Drogen konsumieren (vor allem Cannabisprodukte und Exstasy). Dabei wäre die Weitung des Blicks auf uns, auf die Konsumgewohnheiten der Erwachsenenwelt bereits ein erster wichtiger Schritt, das Thema etwas entspannter anzugehen.

Diese „reflexive Schleife" ist ein wichtiger Schritt, aber nicht ausreichend, um mit dem Konsum illegaler Drogen durch Jugendliche im Sinne einer „normalen", gar willkommenen pädagogischen Herausforderung umzugehen, anstatt in einen Kreislauf zu geraten, dessen Stationen Angst - Dämonisierung - Abwehr - Abschiebung lauten. Aus meiner Sicht bleiben zwei Barrieren bestehen: Erstens wirkt die Kriminalisierung auch „weicher" Drogen absolut kontraproduktiv. Selbst wenn manches in der Praxis heute lockerer gehandhabt wird, heißt es im Betäubungsmittelgesetz nach wie vor: „Mit Freiheitsstrafe bis zu 4 Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer(....) eine Gelegenheit zum unbefugten Verbrauch, Erwerb oder zur unbefugten Abgabe von Betäubungsmitteln (...) einem anderen verschafft oder gewährt oder ihn zum unbefugten Verbrauch von Betäubungsmitteln verleitet (...)" (§ 29, 1 Nr. 10 BtMG). Das verunsichert KollegInnen in der Praxis und verhindert oder belastet eine vertrauensvolle Auseinandersetzung mit dem Drogenkonsum anvertrauter Jugendlicher. Es ist - neben den Versäumnissen im Bereich der Asylpolitik (siehe Kommentar!) - das zweite Politikfeld, wo Rot-Grün bislang enttäuscht. Denn eine andere, eine pragmatischere, alltagsnähere und menschenfreundlichere Drogenpolitik wäre dringend notwendig. Zweitens existiert m.E. ein erhebliches Transformationsproblem dergestalt, dass im Fachdiskurs in den letzten Jahren das Thema „Drogen" zwar aus der Tabuzone herausgebracht wurde, neue Sichtweisen und neue Muster des Umgangs mit Drogenkonsum entwickelt wurden, in der Praxis jedoch nach wie vor eine große Unsicherheit, strukturelle Grenzen (vgl. den Beitrag von Norbert Wieland), auch Unkenntnis bestehen. Die letztgenannte Problematik ist von der Jugendhilfe selbst zu lösen: durch Fortbildung, durch praxisbezogene Publikationen, der engeren Kooperation mit der Drogenhilfe. Die erstgenannte Barriere - die prohibitive Drogenpolitik - bedarf politischer Aktion.

In den ersten beiden Beiträgen wird ein drogenkulturell aufgeklärter Überblick gegeben, wobei Stephan Quensel die Debatte um „das" Drogenproblem auch als Generationenkonflikt thematisiert, systematisch mit dem ambivalenten (eben auch subjektiv positiven) Charakter von Drogenarbeitet und entsprechend für eine differenzierte Sichtweise auf jugendlichen Drogenkonsum plädiert. Cornelia Helfferich führt eine wesentliche weitere Differenzierung ein, indem sie die geschlechtsbezogene Funktionalität von Drogenkonsum untersucht, die Rolle des Drogenkonsums bei der Bewältigung der Entwicklungsaufgabe des Frau- bzw. Mann-Werdens.

Norbert Wieland bearbeitet das spannende Thema „Drogenkonsum in Heimgruppen". Ein Ergebnis: Drogen wären eine hervorragende Möglichkeit, mit Jugendlichen zu einem für sie wichtigen Thema in Kontakt zu kommen. Burkhard Lensing berichtet, wie sich ein Wohngruppenteam ein anderes drogenpädagogisches Selbstverständnis erarbeitete und wie dies praktisch umgesetzt wird.

Paul Erdélyi schließlich hat für die IGfH -Fachgruppe Drogen ein Diskussionspapier zur „Suchtprävention als Aufgabe derJugendhilfe" ausgearbeitet, das sich m.E. gut zum Einstieg in die Diskussion um‘s Thema „Drogen - Sucht - Pädagogik" eignet.

Wolfgang Trede

 

Aus dem Inhalt

Wolfgang Trede: Eine fatale Kontinuität - Über die rot-grüne Asylpolitik

Stephan Quensel: Jugend, Droge, Kultur, Politik - Gibt es noch einen Ausweg?

Cornelia Helfferich: Mädchen, Jungen, Drogen und Jugendhilfe - Der Geschlechteraspekt als Begründungszusammenhang für den Konsum von Drogen

Norbert Wieland: Drogen und Gruppenerziehung in der stationären Erziehungshilfe

Burkhard Lensing: Drogenkonsum und pädagogisches Selbstverständnis des BetreuerInnenteams.Ein Praxisbericht

Paul Erdélyi, IGfH-Fachgruppe Drogen: Suchtprävention als eine Aufgabe der Jugendhilfe

Miklós Lévai: Zum Umgang mit jugendlicher Delinquenz in Ungarn

Helmut Lambers: „Der erste Tag"?

Schlagwörter
Erscheinungsjahr
1998
Ausgabe
5
Sammelband
Nein
Ausgabe Jahr
1998