Familie zuerst!?
Eine neue Methode in der Jugendhilfe sorgt für Aufmerksamkeit: das "Families First"-Programm (oder "Familienaktivierungs-Management" oder "Familie im Mittelpunkt"). Der- wie die Terminologie schon vermuten läßt - aus den USA stammende Ansatz einer kurzfristigen familienbezogenen Krisenintervention versteht sich nicht nur als andere Form aufsuchender Familienarbeit, sondern insofern zugleich als neue Methode der Sozialen Arbeit, als hier einerseits einem Sozialarbeiterischen Partikularismus selbstbewußt das Wort geredet wird. "Families First" will sich nicht ganzheitlich den Klienten und dem Gesamt ihrer Problemlagen zuwenden, sondern versucht pragmatisch und mit Blick auf die begrenzte Dauer der Intervention, lediglich die von den Klienten als zentral benannten Probleme zu lösen. In einer Mischung aus intensiven alltagspraktischen und ( verhaltens-)therapeutischen Hilfen setzt "Families First" andererseits konsequent bei den Stärken bzw. noch vorhandenen Ressourcen von Familien an mit dem Ziel, diese zu aktivieren.
Dieser zunächst durchaus sympathische Zugang relativiert sich m. E. jedoch durch die Art, wie dieser Ansatz zur Zeit in den fachlichen Diskurs und die Praxis in Deutschland eingeführt wird (Erfahrungen gibt es hier noch nicht): Da werden - mit dem Rückenwind einer Modellförderung durch den Bund an vier Projektstandorten - regelrechte Wunder versprochen. So wird suggeriert, "Families First" könne in bis zu 90 Prozent der Fälle Fremdunterbringung vermeiden, bei denen eine solche Unterbringung angestanden hätte. I 00 000 Mark seien bei Einsatz von FF jährlich pro Problemfamilie zu sparen. Aber diese Erfolge würden nur eintreten, wenn man das US-amerikanische Modell buchstabengetreu umsetzen würde und die lizensierte (und immens teure) FF-Ausbildung durchlaufen hätte. Wenn dieses marktschreierische Auftreten der FF-Ansätze die Modeme einer outputorientierten Jugendhilfe repräsentiert, dann "Gute Nacht"!
Dabei werden m. E. durch diese, fachlich schwer akzeptablen Marketingstrategien ihrer Protagonistinnen die durchaus vorhandenen produktiven Impulse dieser kurzfristigen Familienkrisenhilfen eher verschüttet, wird eine breitere Debatte belastet. Das vorliegende Heft will daher zunächst sachlich über die konzeptionellen Grundlagen der "Families First"-Ansätze informieren, über Erfahrungen aus Holland berichten und auch eine kritische Debatte anregen (an der sich die Leserinnen des Forum Erziehungshilfen gerne beteiligen können).
Jan Knijffleitet die Families First-Projekte der holländischen Jugendhilfeeinrichtung ,jeugd zorg" in Nijmegen und gibt einen Überblick über die dort seit rund drei Jahren laufenden FF-Angebote. Johannes Seimurr berichtet über einen Besuch bei Stichling Jeugdzorg. Er referiert außerdem die Ergebnisse einer Evaluationsstudie der FFProjekte und kommt zum Schluß, daß Voraussetzung für den dauerhaften Erfolg der Methode "ihre Einbettung in ein differenziertes Beratungs - und Hilfesystem" sei.
Gerd Gehrmann und Klaus Müller haben den FF-Ansatz 1994 in Deutschland breiter bekanntgemacht und referieren hier nochmals die Werte, Normen und Arbeitsstrategien des Programms. Über die vermutete Wirksamkeit des Ansatzes hinaus könne FF den Autoren zufolge als Modell einer dienstleistungsbezogenen Sozialarbeit betrachtet werden.
Im Artikel von Christiane Kluge wird ein Projekt "Familienaktivierung" vorgestellt, das im Oktober 1996 als Teil eines Kinder- und Familienhilfezentrums in Hamburg-Harburg seine Arbeit aufnahm.
Marga Rothe, Nestorin der Sozialpädagogischen Familienhilfe in Deutschland, setzt sich (selbst-)kritisch mit "dem Neuen" der FF-Ansätze auseinander.