Jugendhilfe an den Schnittstellen zur Justiz

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ForE 1-2015

In ihren Fachdebatten folgt die Soziale Arbeit oftmals politischen und medialen Themenkonjunkturen. In den vergangenen Jahren fanden etwa Bildungsförderung, frühkindliche Schutzmaßnahmen, Ganztagsschulen, Diversity und jüngst Inklusion breite Beachtung in sozialpädagogischen Publikationen. Es handelt sich jeweils um wichtige Themen.

Allerdings besteht die Gefahr, dass andere Bezüge und wichtige Schnittstellen zur Jugendhilfe damit zu Unrecht in den Hintergrund treten. Das vorliegende Heft  erinnert mit seinem Themenschwerpunkt daran, indem Jugendkriminalität als ein Praxisfeld diskutiert wird, das für die Soziale Arbeit und speziell für die Kinder- und Jugendhilfe ausgesprochen bedeutsam ist, aber wenig beachtet wird. Hier zeigt sich eine paradoxe Ausgangslage: Der Umgang mit Jugendkriminalität unterlag in den letzten Jahren international deutlichen Veränderungen. Immer wieder wurde angemahnt, dass sozialpädagogische und wohlfahrtsstaatliche Handlungsoptionen hierbei an den Rand gedrängt wurden und werden. An ihre Stelle scheinen gemäß der breiten Debattenlage sukzessive eine neue Straflust, Manualisierungen, eine Betonung des Gesellschaftsschutzes, psychologisch-statistische Instrumente der Risikoerhebung, polizeilich bestimmte Interventionsmaßnahmen, schlichte Forderungen nach Konfrontation und eine Reihe weiterer Tendenzen zu treten, die sozialpädagogisches Handeln nachhaltig in Zweifel ziehen.

Grund genug also für Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit, sich des Themas ausgiebig anzunehmen. Das Gegenteil war allerdings der Fall – die Debatte wurde im Wesentlichen Kriminolog_innen, Psycholog_innen, Politiker_innen und einer eher wenig sachkundig informierten Medienöffentlichkeit überlassen. Sozialpädagogisch fundierte Auseinandersetzungen bleiben bis heute randständig. Dies hat viele Gründe, nicht zuletzt wohlbekannte Schwierigkeiten der Sozialen Arbeit, sich selbstbewusst und öffentlich hörbar zu artikulieren. Aber wie auch immer dies begründet ist: Es bedarf einer Auseinandersetzung um Ansatzpunkte sozialpädagogischen Handelns an verschiedenen Stellen, an denen Jugendkriminalität (noch) als Thema der Kinder- und Jugendhilfe erkennbar wird.

Da es sich um ein komplexes Thema handelt, kann dies  im vorliegenden Themenheft nur selektiv erfolgen. Nachfolgend werden in den ausgewählten Beiträgen Aspekte behandelt, die in den jüngeren Debatten zu Jugendkriminalität bedeutsame Bezugspunkte kontroverser Diskussionen sind und waren. Sie verweisen – auch im Kontext der Schnittstellen zur Jugendhilfe – darauf, dass Devianz bzw. Kriminalität nichts mit per se devianten bzw. kriminellen jungen Menschen zu tun hat, sondern mit der „Anwendung entsprechender sozialer und juristischer Normen, die in der Regel auch anders angewendet werden könnten. In der Normanwendung wird Kriminalität erst geschaffen“ (Dollinger/Schabdach: Jugendkriminalität 2013: 103).

Der Beitrag von Bernd Dollinger diskutiert vor diesem Hintergrund einen aktuell zunehmenden Trend der Orientierung an statistisch ermittelten Wahrscheinlichkeiten und v.a. an Risikofaktoren, der die Praxis und die Politik bezogen auf den Umgang mit Kriminalität prägt. Er erörtert die Möglichkeiten eines wohlfahrtsstaatlich gerahmten Einsatzes dieser Risikofaktoren für die Soziale Arbeit. Anschließend gibt Gerhard Spiess einen statistischen Überblick zum Thema Jugendkriminalität, der einer besseren Einordnung dieses Phänomens dienen soll. Hierfür greift er insbesondere auf Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik sowie Strafverfolgungsstatistik zurück. Den Blick auf die Situation der jungen Menschen, die einen Freiheitsentzug erfahren haben, richtet Jenna Vietig in ihrem Beitrag. Sie beleuchtet den prekären Übergang vom Jugendstrafvollzug in ein eigenständiges Leben und die Bedeutung der Jugendhilfe bei der Unterstützung der Haftentlassenen. Schließlich thematisieren Sabrina Hoops und Thomas Fischer die vielfach (unüberlegt) geforderte Kooperation an den Schnittstellen von Polizei und Kinder- und Jugendhilfe. Sie zeigen am Beispiel der Präventionsarbeit von Kinder- und Jugenddelinquenz sowohl die Chancen als auch die zunehmenden Risiken und (nicht intendierten) Nebenwirkungen einer handlungsfeldübergreifenden Zusammenarbeit auf.

Bernd Dollinger, Jenna Vietig

 

 

Aus dem Inhalt

Norbert Struck: „Kinder mit und ohne Inklusionsbedarf“ – Stilblüten der gegenwärtigen Inklusionsdiskussionen

Bernd Dollinger: Risikofaktoren als gemeinsame Basis der Arbeit an Jugendkriminalität? Anmerkungen zu einem aktuellen Trend                                                                       

Gerhard Spiess: Empirische Befunde zur Jugendkriminalität in Deutschland

Jenna Vietig: Nach der Haftentlassung – Zur Bedeutung der Jugendhilfe für inhaftierte junge Erwachsene

Thomas A. Fischer, Sabrina Hoops: Prävention und Kooperation mit Augenmaß – die Zusammenarbeit von Kinder- und Jugendhilfe und Polizei im Kontext von Kinder- und Jugenddelinquenz

Simon Peter Otieno: Die Rolle der Verwandtenpflege in Kenia

Thomas Mörsberger: Immer im guten Kontakt, aber ansonsten ein „zahnloser Tiger“? Zur institutionalisierten Aufsicht nach §§ 45 ff SGB VIII

EGMR-Fall Tarakhel: Wichtiger Entscheid für den Schutz von Flüchtlingen in Europa

Erscheinungsjahr
2015
Ausgabe
1
Sammelband
Nein
Ausgabe Jahr
2015