Prävention
aus: Kritisches Glossar Hilfen zur Erziehung. Düring, Diana et al. (Hrsg.) (2014)
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Der Terminus Prävention ist in der Sozialen Arbeit und insbesondere in der Kinder- und Jugendhilfe ein beständiger Gast. Diesen Status hat er insbesondere aufgrund seiner Wurzeln in anderen – nicht unbedingt – benachbarten Disziplinen wie der Medizin und der Kriminologie. Die Implikationen und Merkmale, die ihn in diesen Bezugswissenschaften auszeichnen, bringt er gleichsam als Impact mit in die Soziale Arbeit und stellt diese damit vor die Herausforderung, sich an ihnen zu reiben und sich zu ihnen zu positionieren.
Kriminologisch verstanden, impliziert Prävention in erster Linie Abschreckung als Vorbeugung vor dem (erneuten) Begehen von Straftaten. Generalpräventiv sollen dabei die Mitglieder einer Gesellschaft durch die Bestrafung Einzelner, die sich strafbar gemacht haben, von ähnlichen Taten mittels Abschreckung abgehalten werden (vgl. Albrecht 1999: 52). Präventiv sollen rechtlich verankerte Strafen durch die Abwägung des Nutzens der geplanten Straftat gegenüber dem Risiko, erwischt und hart bestraft zu werden, dazu führen, dass vor der eigentlichen Tat zurückgeschreckt und somit Unrecht verhindert wird. Spezialpräventiv soll eine möglichst harte Bestrafung Straftäter vom Begehen weiterer Taten abhalten (vgl. ebd.). Dass diese Idee einer „Rational-Choice- Logik“ in Anbetracht moderner Theorien abweichenden Verhaltens (insbesondere im Kontext von Jugenddelinquenz) ihre Grenzen hat, leuchtet unmittelbar ein. Dennoch bringt der Terminus Prävention bei seinem Import in die Soziale Arbeit den Duktus des Verhinderns von Abweichung und damit die Kontrolle menschlichen Handelns im Sinne der Konformität mit sich.
Medizinisch gedeutet, trägt für Prävention noch immer die von Caplan eingeführte Differenzierung zwischen Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention. Die Idee ist hier, im Hinblick auf die Entstehung und Entwicklung eines (psychiatrischen) Krankheitsbildes möglichst frühzeitig, d. h. präventiv, zu intervenieren, um entweder einer Erkrankung zuvorzukommen (Primärprävention; vgl. Caplan 1964: 26), eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes durch Behandlung zu verhindern (Sekundärprävention; vgl. Caplan 1964: 89) oder rehabilitiv einer erneuten Erkrankung entgegenzuwirken (Tertiärprävention; vgl. Caplan 1964: 113). Jenseits der Frage, inwiefern diese von Kausalitätsvorstellungen und Wirksamkeit durchdrungene medizinische Logik in der Kinder- und Jugendhilfe tragen kann, findet hier eine Entgrenzung des Begriffs Prävention statt: Prävention und Intervention sind nicht (länger) als zwei Pole eines Kontinuums zu betrachten, sondern Prävention beinhaltet in jeder ihrer Formen intervenierende und damit Lebenswelten beeinflussende Maßnahmen. Aus diesem Grunde impliziert Prävention letztlich die gezielte Beeinflussung der Lebenswelt der Adressatinnen und Adressaten unter der Prämisse des vermeintlich „pädagogisch Richtigen“. Der Idee bzw. möglichen Konsequenz, angesichts dieser Entgrenzung auf den Terminus Prävention zu verzichten, wird jedoch in der Kinder- und Jugendhilfe kaum gefolgt. Das frühzeitige Verhindern (s. o.) von als problematisch erachteten Entwicklungen in der Biographie von Kindern und Jugendlichen scheint sozialpädagogisch relativ alternativlos zu sein (vgl. Wohlgemuth 2008: 11), zumal in der pädagogischen Fantasie im Grunde immer noch Entwicklungen denkbar sind, die es zu verhindern gilt – sogar in intensiven und intensivsten Hilfekontexten (Kriminalität, Pathologisierung, etc.).
Angesichts der medizinischen und kriminologischen Wurzeln geht Prävention – auch in der Kinder- und Jugendhilfe – also immer mit einer verhindernden Logik und damit einer Orientierung nicht an den Ressourcen und Potenzialen der Kinder, Jugendlichen und Familien, sondern an Gefahren, Risiken und Verschlechterungen einher. Zwar erhob der achte Kinder- und Jugendbericht die Prävention durch seine lebensweltorientierte Interpretation zu einer Strukturmaxime der Kinder- und Jugendhilfe (vgl. BMJFFG 1990) und es gibt durchaus theoretische Ansätze in der Sozialpädagogik, die diesen Begriff mit einer ermöglichenden und emanzipatorischen Dimension füllen (vgl. Böllert 1995), seine langfristige Verwendung in Literatur und Praxis lässt jedoch darauf schließen, dass er sich seiner aufgezeigten Wurzeln und Argumentationslogiken in der Regel nicht entledigen kann. Er scheint in vielen Fällen nützlich und hilfreich im Rahmen der Einwerbung von Mitteln – bspw. zu Finanzierung von Projekten oder Maßnahmen, weil er in seiner betriebswirtschaftlichen Dimension Kostenersparnisse gegenüber später ansetzenden Maßnahmen verspricht. Jedoch ist in diesem Zusammenhang immer der Verweis auf eine ansonsten möglicherweise negativ verlaufende Entwicklung in Kauf zu nehmen. Diese auf Verhinderung ausgelegte Argumentation scheint untrennbar mit dem Präventionsbegriff verwoben. Sie wirkt bei der Einwerbung von Mitteln förderlich, widerspricht aber gleichzeitig einer Sozialpädagogik, die sich als ressourcenorientiert versteht und einer Kinder- und Jugendhilfe, die es sich dienstleistungsorientiert zum Ziel setzt, im Sinne des § 1 SGB VIII Kinder, Jugendliche und Familien zu fördern, zu unterstützen und positive Lebensbedingungen zu schaffen. So kann diese Dominanz einer verhindernden Logik auch als Grund dafür angeführt werden, dass die auf Ermöglichung und Emanzipation hin ausbuchstabierten sozialpädagogisch-theoretischen Ansätze zur Prävention (vgl. ebd.) zwar theoretisch hoch plausibel, in der Praxis jedoch wenig prägend für das Präventionsverständnis sind (vgl. Wohlgemuth 2008).
Neben dem sozialpädagogischen Agieren vor dem Hintergrund eines Schreckensszenarios sind derzeit insbesondere drei Entwicklungslinien und Diskursstränge aufzuzeigen, die sich der Prävention bedienen und ihr wiederum eigene Implikationen mitgeben. Diese Diskurse sind im Folgenden aufzuzeigen und stellen Prävention in den Horizont von Legitimation, Observation und Investition.
Prävention als Legitimation
Präventive Absichten haben sich gegenüber relevanten Kostenträgern in vielen Bereichen und Hilfeformen als schlagkräftiges Argument zur Legitimation von Mitteln erwiesen. Diese Tatsache ist so einleuchtend wie verwunderlich, denn:
Prävention, präventive Projekte und Maßnahmen stellen hinsichtlich der wissenschaftlichen Überprüfung eine besondere Herausforderung dar. Die Schwierigkeiten bei der Evaluation personenbezogener Dienstleistungen hinsichtlich ihrer Wirkungen (z. B. aufgrund des Fehlens kausaler Wirkmechanismen) werden an dieser Stelle dadurch potenziert, dass zur Beurteilung des Erfolges einer präventiven Maßnahme des Nicht-Eintreten eines unerwünschten Zustandes gemessen und mit dem Nicht-Eintreten dieses Zustandes bei anderen Personengruppen ohne pädagogische Einflussnahme verglichen werden müsste. Dies ist mit den Methoden der qualitativen und auch quantitativen Sozialforschung nicht möglich. Interessanterweise lässt sich das Label Prävention aber dennoch in vielen Kontexten der Kinder- und Jugendhilfe als zugkräftiges legitimatorisches Mittel im betriebswirtschaftlichen Sinne einsetzen. Hintergrund dafür ist abermals der Hinweis auf ein vermeintlich ansonsten eintretendes Schreckensszenario, dessen sozialpädagogische Bearbeitung in jedem Fall intensiver und damit kostenaufwendiger wäre. „Ihre Legitimation bezieht Prävention aus dem Versprechen, die gewünschten Effekte mit weniger Aufwand bzw. mit dem gleichen Aufwand größere Effekte zu erzielen als therapeutische Maßnahmen, Sanktionierung von Abweichungen oder Schadensausgleich. Vorbeugen ist besser, nicht zuletzt weil es billiger ist.“ (Bröckling 2004: 214) Es ergibt sich auf diese Weise ein Zirkelschluss: Die Legitimation für Prävention ist eine vermeintliche Kostenersparnis gegenüber später ansetzenden Maßnahmen und gleichzeitig legitimiert die Präventionsidee den Einsatz finanzieller Mittel. Dabei ist es oft unerheblich, dass die befürchteten Kosten in einem anderen gesellschaftlichen Funktionsbereich entstünden. Beispiele hierfür sind die Titulierung der offenen Jugendarbeit als Gewaltprävention, die Idee des Verhinderns ernsthafter Erziehungsprobleme durch offene gruppenbezogene Angebote der Erziehungsberatung in Kindertageseinrichtungen oder auch die Verhinderung krimineller Karrieren durch die Unterbringungen von Jugendlichen in sog. Intensivgruppen im Rahmen der Heimerziehung. Argumentiert wird in diesen Fällen in einer betriebswirtschaftlichen Logik, jedoch ohne empirische Fundierung und eher im Stile des achten Jugendberichtes, der bereits davon sprach, präventiv an solchen Situationen anzusetzen, die „erfahrungsgemäß belastend“ (BMJFFG 1990: 85) sind. Damit soll in keiner Weise der reichhaltige Erfahrungsschatz sozialpädagogischer Fachkräfte in der Kinder- und Jugendhilfe infrage gestellt oder gar negiert werden, dass es risikoreiche Entwicklungen und gefährdende Faktoren in kindlichen Biographien gibt. Vielmehr erstaunt die Tatsache, dass es mithilfe des Labels Prävention offenbar ausreicht, den betriebswirtschaftlichen Nutzen einzelner Projekte und Maßnahmen über diese Erfahrungen und damit ohne fundierte Evaluationsergebnisse zu rechtfertigen.
Neben dieser betriebswirtschaftlichen Dimension der Legitimation scheint die Idee der Prävention aber auch in fachlicher Hinsicht für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – u. a. in den erzieherischen Hilfen – alternativlos zu sein. Die Idee, durch das eigene pädagogische Handeln mit Familien, Kindern und Jugendlichen „Schlimmeres“ zu verhindern, ist konstitutiver Bestandteil des eigenen professionellen Selbstverständnisses (vgl. Wohlgemuth 2008: 263), so dass ein Abwenden oder grundsätzliches Infragestellen der Terminologie Prävention und der damit verbundenen Implikationen sich empirisch nicht nachweisen lässt (vgl. ebd.). Die Vorstellung, zu helfen, „bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist“ – auch in Hilfeformen mit hohem intervenierendem Charakter –, gehört offenbar zum Idealbild sozialpädagogischen Handelns, ungeachtet ebenfalls etablierter Maximen wie der Ressourcenorientierung.
Prävention als Bestandteil sozialpädagogischer Fachlichkeit ist damit zum einen als betriebswirtschaftliche Legitimation gegenüber Leistungsgewährern und Trägern sowie nach außen hin zu verstehen und ist gleichzeitig als fachliche Legitimation selbst stark intervenierenden Handelns zu begreifen, dem auf diese Weise immer eine präventive Dimension zugeschrieben wird, so dass (noch) intensivere Eingriffe in die Lebenswelt oder Autonomie der Adressatinnen und Adressaten verhindert werden.
Prävention als Observation
Prävention bzw. als präventiv definierte Maßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe stehen bereits seit den ersten disziplinären Debatten zu diesem Thema im Verdacht, eine systematische „Kolonialisierung von Lebenswelt“ (Otto 1983: 220) zu betreiben. Im Interesse der Bewahrung geht es entsprechenden Projekten und Hilfen darum, abweichendes und damit potenziell Hegemonien infrage stellendes Verhalten frühzeitig zu verhindern und „den Status quo des Nicht-, Nicht so-oder Nicht hier-Eingetretenseins eines Ereignisses zu erhalten“ (Ziegler 2001a: 8). Nicht-konformes Verhalten, das potenziell emanzipatorischen Gehalt haben kann, wird als Abweichung und als Bedrohung der gesellschaftlichen Ordnung klassifiziert und zum Gegenstand präventiver Bearbeitunggemacht. Gesellschaftlicheoderauchpartikulare Normalitätsvorstellungen (vgl. Ziegler 2001b: 34) sollen auf diese Weise untermauert und kreative Alternativen dethematisiert werden. Verargumentiert wird dies in der Regel über den Schutz der Gesellschaft (z. B. bei vermeintlichen Maßnahmen der Gewaltprävention in der Jugendarbeit) oder über den Schutz derjenigen, die sich selbst nicht zu helfen vermögen.
Letzterer Gedanke manifestiert sich derzeit offensichtlich in den Diskursen und Reformen zum Kinderschutz im Kontext der Kinder- und Jugendhilfe. Prävention wird hier in Anlehnung an den militärischen Jargon in Form von Frühwarnsystemen umgesetzt. Diese Systeme sollen – manifestiert in nahezu allen Leistungsbereichen der Kinder- und Jugendhilfe und auch der Schule – ein frühzeitiges Erkennen als problematisch eingestufter Entwicklungsverläufe ermöglichen. Risiken sollen erkannt werden, bevor sie zu einer Kindeswohlgefährdung werden. Dahinter steht die Idee von Screeningverfahren, die mit einem Generalverdacht gegenüber Eltern arbeiten. Sie werden eingebettet in eine Jugendhilfe, die sich selbst – spätestens seit Einführung des SGB VIII – als Dienstleistung für Familien und Unterstützungsleistung für Erziehungsberechtigte begreift (vgl. z. B. Jordan et al. 2012: 19 ff.) und für deren Adressaten die „Vorstellung des Wandels vom fürsorglich umlagerten Klienten zum souveränen und aufgeklärt agierenden Kunden“ (Schone 2008: 17) formuliert wurde. Unter anderem aufgeschreckt durch medial aufbereitete und skandalisierte Kinderschutzfälle und die Befürchtung, als Jugendamt bzw. verantwortliche Fachkraft möglicherweise zum Sündenbock auserkoren zu werden, ist das Ziel hier eine engmaschige Überwachung von Familien. Verstoßen diese gegen (sozialpädagogische) Normalitätsvorstellungen, so ist die Observation auszuweiten und um entsprechende Hilfeangebote zu ergänzen. Die Abwendung einer vorausgeahnten negativen Entwicklung scheint dabei grundsätzlich nur durch sozialpädagogische Intervention denkbar.
Etwas weniger stark stigmatisierend gestaltet sich der Ansatz der sog. Frühen Hilfen, die durch die Verabschiedung des Bundeskinderschutzgesetzes im Jahr 2012 eine weitreichende Etablierung erfahren haben. Weniger eingriffsintensiv (im Vergleich zu den sozialen Frühwarnsystemen), verstehen sie sich als Unterstützungs- und Informationsangebote für alle Eltern mit kleinen Kindern – in einigen Fällen offensiver und in anderen Fällen defensiver mit der möglichen Überforderung dieser Eltern argumentierend. Präventives Bemühen hat hier zwar eine aufklärende und unterstützende Dimension, muss sich aber – u. a. aufgrund sozialpädagogischer Praxen wie dem flächendeckenden Hausbesuch bei jungen Familien – auch den Verdacht einer ersten Stufe der präventiven Observation gefallen lassen.
Prävention als Investition
Einen wiederum anderen Zungenschlag bekommt der Terminus Prävention aktuell mit Blick auf die Logik des sozialen Investitionsstaates. Im Kontext des demographischen Wandels und insbesondere der seit Jahren relativ konstant niedrigen Geburtenziffer in Deutschland bekommen Kinder eine Art Seltenheitswert (vgl. Wohlgemuth 2010: 73). Die politischen Bemühungen um die Steigerung der Geburtenziffer haben in den letzten Legislaturperioden zu einer Vielzahl familienpolitischer Reformen wie der Einführung des Regelungen zu Elternzeit und Elterngeld, der wiederholten Anhebung des Kindergeldes und dem Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz ab dem ersten Geburtstag geführt. All diese Maßnahmen laufen vorwiegend unter dem Label der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Sie sollen dezidiert hoch qualifizierte Eltern bzw. insbesondere Mütter dazu motivieren, Kinder zu bekommen und gleichzeitig ihre Erwerbstätigkeit fortzusetzen. Flankiert werden die Maßnahmen allerdings nicht von entsprechenden Verbesserungen für Familien mit geringem Einkommen und damit oft auch geringem Bildungshintergrund. Vielmehr sind die meisten Änderungen explizit so angelegt, dass sozial schwächere Familien nicht von ihnen profitieren (bspw. hinsichtlich der Anrechnung des Elterngeldes auf das ALG II). Deutlich wird an dieser Stelle zweierlei: Die Steigerung der Geburtenziffer ist ein zentrales – nicht nur familienpolitisches, sondern eben auch wirtschaftspolitisches – Anliegen. Zur Minderung des demographischen Wandels und zum Erhalt des sozialstaatlichen Sicherungssystems sind mehr Kinder unabdingbar und unbedingt gewollt. Gleichzeitig richten sich die sozialstaatlichen Investitionen dabei aber insbesondere an bessergestellte Familien. Ihre Reproduktion scheint besonders wertvoll.
Insbesondere kleine Kinder erweisen sich in dieser Debatte um soziale Investitionen als rentable Investitionsobjekte. In ihr Humankapital soll frühzeitig – z. B. im Rahmen frühkindlicher Bildung – investiert werden. Vor dem Hintergrund des Strukturwandels und dem wenig erfreulichen Abschneiden in den einschlägigen Untersuchungen der empirischen Bildungsforschung betont Deutschland die Wichtigkeit und den Stellenwert einer umfassenden Bildung seiner Kinder. Diejenigen Kinder, die dabei durch Schwierigkeiten in ihrer Entwicklung hin zum Humankapitalträger auffallen (bspw. weil sie die deutsche Sprache nicht im gewünschten Umfang beherrschen), werden dann zum Gegenstand präventiver Bemühungen, die sich in diesem möglichst frühen Kindesalter noch vermeintlich am besten rechnen bzw. lohnen. So entstehen Überzeugungen in der Hinsicht, dass es offenbar bestimmte Kinder aus bestimmten sozioökonomischen Verhältnissen besonders „nötig“ haben, früh eine Kindertageseinrichtung zu besuchen (nachzulesen in der Debatte um die Einführung des Betreuungsgeldes). Folgt man demnach dem politischen und medialen Diskursverlauf, so lässt sich attestieren: „Diese sogenannten Risikoeltern, welche Träger erheblicher Risikofaktoren sind, stammen mehrheitlich, so zumindest die medial und in Teilen der Fachöffentlichkeit vermittelte Meinung, aus der ‚Unterschicht‘.“ (Wazlawik 2011: 21) Dementsprechend bedarf genau diese Zielgruppe präventiver Angebote zur Förderung des kindlichen Humankapitals, über deren Angebotscharakter sich trefflich streiten lässt. Auf diese Weise wird der vermeintlich humanistische Bildungsanspruch für das frühe Kindesalter konterkariert durch eine Investitions- und Defizitlogik, der es weniger um spielerisches Lernen und Erkunden der Welt geht, sondern mehr um eine präventive Bearbeitung von Problematiken, die als Vorstufe eines mangelnden Humankapitals und mangelnder Produktivität im Dienste der sozialstaatlichen Sicherungssysteme interpretiert werden. Es dominiert eine „instrumentelle Perspektive auf junge Menschen“ (Opielka 2004: 16). Prävention zeigt hier erneut ihre verhindernde Dimension, ergänzt durch eine Konzentration auf kleine Kinder, die angesichts ihres Alters noch als lohnende Investitionsobjekte verstanden werden und die zudem aufgrund ihres familiären, sozioökonomischen und bildungsfernen Hintergrundes dieser präventiven „Förderung“ offenbar in besonderer Weise bedürfen.
Fazit
Prävention erweist sich für die Kinder- und Jugendhilfe als ein Terminus, der aufgrund seiner disziplinären Wurzeln Implikationen mit sich trägt, die einem ressourcenorientierten und auf Befähigung, Förderung und dem Abbau von Benachteiligung ausgerichteten Selbstverständnis der Sozialen Arbeit in vielen Punkten nahezu diametral widersprechen. Eine sozialpädagogische Adaption und eigenständige, theoretische Füllung des Begriffs ist zwar vorhanden, deren Durch- und Umsetzung im Sinne eines praktischen Präventionsverständnisses, das sich als ermöglichend und befähigend darstellt, scheint derzeit jedoch nicht in Sicht. Dennoch erweist sich der Begriff in vielen Fällen als hilfreich in legitimatorischer Hinsicht und als elementarer Bestandteil des sozialpädagogischen Selbstverständnisses. Es stellt sich jedoch die Frage, inwiefern er seinem Status als Strukturmaxime und professionelle Überzeugung angesichts der stigmatisierenden und Autonomie beschneidenden Implikationen der neueren Debatten zum Kinderschutz und zum sozialen Investitionsstaat derzeit (noch) gerecht werden kann. Dies wiederum macht die Notwendigkeit einer fachlichen und auch theoretischen Reflexion präventiver Logiken in der Kinder- und Jugendhilfe deutlich.
Literatur
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- Ziegler, H. (2001b): Drei Mann in einem Boot. In: Widersprüche, 21. Jg./Heft 82, S. 25–38.