Kinderdelinquenz - Brauchen wir neue Settings?
Was tun mit strafunmündigen „Intensivtätern“, wohin mit den Schwierigsten?, so lauten die Überschriften der Zeitungen, wenn wieder einmal ein „Monsterkid“ aktiv gewesen ist. Bereitwillig werden diese Anfragen von der Jugendhilfe übernommen, beschäftigen seit Monaten Fachtagungen, Kongresse und Zeitschriften. In seltenem Schulterschluss planen die niedersächsische und die bayerische Landesregierung bereits Spezialeinrichtungen für delinquente Kinder mit den Strukturmerkmalen: permanente Aufnahmebereitschaft, „Abnahmeverpflichtung“ und eine „wirksame bauliche Sicherung gegen Entweichung“. So hat sich zwischenzeitlich ein Problemdiskurs weitgehend jenseits der faktischen Kriminalitätsentwicklung (siehe den Beitrag von Christian Lüders in diesem Heft) verselbständigt, der eine Angebots und Interventionslücke zwischen Jugendstrafvollzug und stationären Jugendhilfeangeboten für selbstverständlich gegeben annimmt.
Da kommt eine Bürger- und Investoreninitiative scheinbar zur rechten Zeit, die in Thüringen auf dem Gelände eines ehemaligen russischen Militärflugplatzes eine Großeinrichtung für delinquente Jugendliche mit „800 bis 1000 Plätzen“ nach Vorbild der US-amerikanischen Gien Mills Schools in Pennsylvania einzurichten gedenkt. Das bislang bekannt gewordene Konzept ist fachlich mehr als dünn (vgl. dazu den Beitrag von Friedhelm Peters im Heft), dafür wird betriebswirtschaftlich mächtig auf den Busch geklopft, nicht nur die „steuermindernden Sonderabschreibungsmöglichkeiten“ böten Investoren „Möglichkeiten, den 'Return of Investment' bedeutend zu erhöhen“. Das Landesjugendamt Thüringen sah es jedenfalls für geboten an, im Dezember 1999 eine Expertlnnen-Anhörung zur Frage der Tauglichkeit und möglichen Übertragbarkeit des Gien Mills-Konzeptes nach Thüringen zu veranstalten. Nach meiner Einschätzung ergab die Anhörung ganz eindeutig, dass allenfalls einzelne Bestandteile Je von Gien Mills sich für eine breitere Rezeption und als Erinnerung an eigene verschüttete reformpädagogische Traditionen anböten (vgl. hierzu den Beitrag von Herbert Colla in diesem Heft), nicht jedoch die Übertragung des kompletten Modells wie geplant schon gar nicht in der unseriösen Weise der Thüringer lnvestorengemeinschaft. Zwei der Beiträge in diesem Heft gehen auf Vorträge anlässlich der Anhörung zurück: Der Artikel von Herbert Colla beschreibt differenziert die Einrichtungsphilosophie, Leistungsfähigkeit und Grenzen von Gien Mills, Christian Lüders beleuchtet eine viel zu häufig vernachlässigte Rahmung der Debatte, die faktische Entwicklung der Kinder- und Jugenddelinquenz in Deutschland. Abschließend erörtert Hanna Permien entlang eines Fallbeispiels, wie Jugendhilfe durch Qualifizierung des Beginns einer sozialpädagogischen Intervention später problematische Verläufe vermeiden könnte.
Ihr Beitrag erinnert auch daran, dass bereits die Richtung der eingangs benannten Fragen eine Schieflage indiziert: Denn es ist zu vermuten, dass hier eine Orientierung zugrunde liegt, die weniger auf eine Integration „schwieriger“ Jugendlicher setzt, sondern vielmehr auf deren Weiterverweisung und Verlegung in spezielle Institutionen. „Wohin mit den Schwierigsten?“ ist ja meistens nicht fürsorglich gemeint im Sinne von Wo finden wir bei uns den geeigneten Platz für einen Jugendlichen?“, sondern transportiert eher die Botschaft „Wie bekommen wir den Störenfried weg?“.
Internationaler Fachkräfte Austausch neu gestartet
Ich möchte Sie auf das von der FICE -Europa neu gestartete „Professional Exchange Programme P.E.P.“ aufmerksam machen, das Fachkräften der Jugendhilfe ein 1bis 6monatiges Praktikum in einer ausländischen Jugendhilfeeinrichtung vermittelt. Informationsflyer können bei der IGfH -Geschäftsstelle angefordert werden, weitere Informationen finden Sie auch auf Seite 117 dieser Zeitschrift.
Wolfgang Trede