Wohnungslosigkeit als Thema der Jugendhilfe

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Nach der Frankfurter Erklärung der Erziehungshilfefachverbände zum Grundrecht auf Wohnen für alle jungen Menschen hat Wohnungslosigkeit vier Konstellationen: Wohnungslosigkeit von Familien mit Kindern, jungen Geflüchteten, Careleaver*innen und jungen Menschen, die sich aus Familien oder Einrichtungen in die Wohnungslosigkeit flüchten. Nach Schätzungen des Deutschen Jugendinstituts sind in Deutschland rund 37.000 junge Menschen im Alter bis 26 Jahren wohnungsoder obdachlos. Die meisten sind 18 oder 19 Jahre alt, 67 Prozent hatten bereits als Minderjährige ersten Kontakt mit der Straße. Bis zum zwanzigsten Lebensjahr sind mehr oder gleich viele junge Frauen* wie Männer* betroffen. Mit zunehmendem Alter ist dann von einem Verhältnis von Zweidrittel junge Männer und einem Drittel junge Frauen auszugehen – so zumindest die Schätzungen und Hochrechnungen. Praktiker*innen gehen davon aus, dass ungefähr die Hälfte der jungen Menschen in prekären Wohnverhältnissen Erfahrungen aus stationärer Jugendhilfe haben. Bezahlbaren Wohnraum zu finden erweist sich häufig für junge Geflüchtete als doppelt schwierig. Die Jugendhilfe reagiert zum einen mit Angeboten der stationären Erziehungshilfen, zum anderen mit Jugendsozialarbeit insbesondere der Mobilen Jugendarbeit auf prekäre Lebenslagen junger Menschen. Jugendwohnen nach § 13 Abs. 3 SGB VIII ist in der Regel bzw. traditionell auf die Flankierung einer Ausbildung und deren Erfolg ausgerichtet. Grundsätzlich muss konstatiert werden, dass die Angebote der Jugendhilfe mit ihrem Fokus auf Persönlichkeitsentwicklung nicht darauf ausgerichtet sind, den vielfältigen Zugangsbarrieren am Wohnungsmarkt entgegenzutreten und ausreichende Kompensationen anzubieten. Ansätze wie „Housing first“, „Social Bett&- Bildung (BnB)“ etc. erproben neue Wege der Kooperation zwischen Wohnwirtschaft und Politik. Aber auch die steigende Zahl von Familien mit minderjährigen Kindern und Jugendlichen, die in der Wohnungsnotfallhilfe ankommen, muss die Kinder- und Jugendhilfe stärker in den Blick nehmen.

Die Heftausgabe fokussiert auf das Thema Wohnen und darin auf die strukturellen und kommunalpolitischen Herausforderungen und die Verantwortung der Jugendhilfe, die in aller Deutlichkeit zu Tage treten. Den Auftakt der Beiträge macht Wolfgang Schröer, der eine Entkoppelung der wohnungsbezogenen Hilfen für junge Menschen von der Arbeitsmarktintegration einfordert wie auch einen privilegierten Zugang zu bezahlbarem Wohnraum für junge Menschen, die in öffentlicher Verantwortung aufwachsen. Der Beitrag von Katharina Brüchmann und Jutta Henke analysiert die sozialpolitischen und fachlichen Herausforderungen für die Jugendhilfe im Hinblick auf Wohnungsnotlagen junger Menschen. Er arbeitet Befunde aus, die sowohl Reaktionsnotwendigkeiten der Jugendhilfe verdeutlichen als auch Praktiken der Jugendhilfe als mitursächlich kenntlich machen. Claudia Daigler richtet den Blick auf wohnungslose oder von Wohnungsverlust bedrohte Familien, deren Existenz und deren Bedarfe in der bislang primär auf Einzelpersonen ausgerichteten Wohnungslosenhilfe als auch in der Jugendhilfe wenig thematisiert und gesehen werden. Erste Einblicke aus einem Forschungsprojekt werden vorgestellt. Elvira Berndt und Malte Schruth beschreiben mit der Entwicklung des Projektes „Social BnB“ neue Wege in der Straßensozialarbeit, junge Menschen mit wenig oder keinen materiellen Sicherheiten in langfristige, gesicherte Mietverhältnisse zu bringen. Hierzu bringen sie neben den jungen Menschen und den Streetworker*innen auch die Wohnungswirtschaft und Politik in Berlin an einen Tisch. Andrej Holm analysiert Wohnungslosigkeit als Ausdruck eines komplexen Versagens der sozialpolitischen Netze und der Wohnungspolitik. Als Schutzraum, als grundgesetzlich geschützte Privatsphäre und als Ort, an dem sich Eigenständigkeit und Individualität entfalten kann, ist die Wohnung eine zentrale Voraussetzung für soziale und gesellschaftliche Teilhabe. Obwohl das Recht auf Wohnen bereits 1966 im UN-Sozialpakt verankert wurde, ist das Wohnen für alle leider bis heute keine Selbstverständlichkeit.

Claudia Daigler, Peter Schruth, Norbert Struck

 

Aus dem Inhalt

Wolfgang Schröer: Das Grundrecht auf Wohnen

Katharina Brüchmann, Jutta Henke: Nicht Schnittstelle, sondern Mitverantwortung – Jugendhilfe als Partner in den Hilfesystemen gegen Wohnungslosigkeit

Claudia Daigler: Familien in Wohnungslosigkeit – Aspekte an der Schnittstelle von Jugendhilfe und Wohnungslosenhilfe

Elvira Berndt, Malte Schruth: Social Bett&Bildung – eine Projektentwicklung in der Straßensozialarbeit

Andrej Holm: Wohnungslosigkeit und Wohnungspolitik

Kiaras Gharabaghi: Jenseits der Dualität von Familienpflege und Gruppenbetreuung: Heimerziehung in internationaler Hinsicht – Teil II

Liane Pluto, Andreas Mairhofer, Christian Peucker, Eric van Santen: Schleichend erfolgreich? - Empirische Befunde zu Verbreitung und Merkmalen von Stufenplänen in stationären Hilfen zur Erziehung

Juliane Meinhold: Nach der Gesetzesreform ist vor der Gesetzesreform – Gesetzentwurf zur Abschaffung der Kostenheranziehung für junge Menschen im SGB VII

Preis
€10.00
Seiten
64
Erscheinungsjahr
2022
Ausgabe
4
Sammelband
Nein
Ausgabe Jahr
2022