Migration in der Pflegekinderhilfe
Sie können diese Publikation direkt bei uns bestellen.
Migration ist eine von vielen Dimensionen, die für Menschen und ihr Handeln relevant werden können. Die Gesellschaft pluralisiert sich (auch) durch Migrationsprozesse. Dadurch wird die Auseinandersetzung mit der Frage notwendig, welche Anforderungen sich aus der zunehmenden Vielfalt für die unterschiedlichen Bereiche der Sozialen Arbeit ergeben. Für das Handlungsfeld der Kinder- und Jugendhilfe wird mittlerweile anerkannt, dass Migrationsfamilien eine wichtige Zielgruppe darstellen, schon allein weil sie zunehmend hohe Anteile an der Bevölkerung stellen und die Bevölkerung mit Migrationshintergrund eine junge Altersstruktur aufweist. Bereits heute haben etwa 30% aller jungen Menschen in Deutschland einen Migrationshintergrund (vgl. Statistisches Bundesamt 2016).
Gleichzeitig gibt es nach wie vor Verunsicherungen im Umgang mit Migrationsfamilien hinsichtlich vermeintlich anderer „kultureller“ Praktiken, der Unkenntnis der Lebenssituationen, Unsicherheiten aufgrund bestehender Stereotype, Fremdheitsgefühle etc. Die Kinder- und Jugendhilfe ist professionell und konzeptionell längst nicht hinreichend auf den Wandel der Gesellschaft durch Migration eingestellt. Die zeigt sich wie unter einem Brennglas auch in der Pflegekinderhilfe. Hier deutet sich ein großer Fortbildungs- und Aufklärungsbedarf an, um ein fachliches und normalisierendes Miteinander gestalten zu können (für das Handlungsfeld des Kinderschutzes vgl. Jagusch et al. 2012). Hamburger (2002; 2018) hat früh darauf hingewiesen, dass ein reflexiver Umgang mit dem Merkmal Migration notwendig ist, um „naive Kulturalisierungen“ in der Analyse pädagogischer Institutionen und Interaktionen zu vermeiden.
Zugleich zeigt sich auch eine politische Komponente, die das Thema „Migration in der Pflegekinderhilfe“ überlagert. Der politische Umgang mit Migration in der Einwanderungsgesellschaft und die medialen Bilder von „Migration“ und „Integration“ prägen auch die Pflegekinderhilfe. So lässt sich zunehmend eine politische Instrumentalisierung dieser durch Regierungen (z.B. Türkei, Polen) und regierungsnahe bzw. religiöse Verbände feststellen, die Vorwürfe der religiösen und kulturellen Entfremdung, „Germanisierung“ und „Assimilation“ der Pflegekinder mit Migrationshintergrund in deutschen Pflegefamilien formulieren. Hieraus speist sich die Forderung der Unterbringung von Pflegekindern mit Migrationshintergrund in Pflegefamilien mit dem gleichen Migrationshintergrund als „einfache“ Lösung des Konflikts. Damit einhergehen hoch problematische nationalistische Zuschreibungen und Vereinfachungen. Der politische Rahmen als Hintergrundprozess schafft damit zusätzliche Barrieren, die die Weiterentwicklung des Themas erschweren. Die Folgen der Politisierung des Themas Migration für die Weiterentwicklung einer (migrationssensiblen) Pflegekinderhilfe sind in den Blick zu nehmen. Was ist professionell (Fachpraxis) und strukturell (Fachpolitik) zu tun? Wie muss das Thema besetzt und gerahmt werden (fachliche Ebene vs. politische Ebene)? Hier zeigt sich ein hoher Bedarf an wissenschaftlich fundierten Ergebnissen, die für die fachpolitische Debatte genutzt werden können.