Hilfeplanung in der Diskussion

ForE 1-2002

Gibt es denn noch was Neues zum Thema Hilfeplanung mitzuteilen - nach all den Büchern, Zeitschriftenartikeln, Arbeitshilfen und fachlichen Empfehlungen, die in den letzten Jahren erschienen sind? Wir meinen: Ja! Schließlich waren die 1990er Jahre durch eine lediglich konzeptionelle Debatte gekennzeichnet, die dazu diente, in der Phase des „jungen“ Kinder- und Jugendhilfegesetzes auszubuchstabieren, wie die gesetzlichen Vorgaben fachlich zu interpretieren und praktisch umzusetzen sind. Geblieben sind aus dieser Phase der Fachdebatte eine Vielzahl regional unterschiedlicher Ablaufpläne und Formulare zum Prozess der Hilfeplanung und seinem Herzstück, dem Hilfeplangespräch, sowie eine fachliche Kontroverse darüber, ob die Hilfeplanung ge­mäß § 36 SGB VIII vorrangig durch professionelle Diagnosen oder mehr durch Aushandlungsprozesse zwischen professionellen HelferInnen und KlientInnen geprägt sein solle (eine Debatte, die z.T. fälsch­licherweise so interpretiert wird, als müsse man sich für eines der beiden Handlungsmodi entscheiden, aber natürlich ist es notwen­dig, dass man in der Praxis versucht, sowohl den Fall sorgfältig zu analysieren als auch im Hilfeplanungsprozess die Deutungen und Lösungsvorschläge von KlientInnen ernst und wichtig zu nehmen).

Erstaunlich ist, dass jene Debatten fast ganz ohne Empirie, ohne gründliche Forschung rund um die Hilfeplanung auskamen (unter den Ausnahmen: Die Studien der Forschungsgruppe um Werner Schefold und die Arbeit von Patric Becker). Um hier fachlich weiterzukommen, muss nun (weiteres) empirisches Fleisch ans bestehende Gerippe der Hilfe­plandebatte! Von daher ist es sehr zu begrüßen, dass das Bundesjugendministerium in diesem Jahr einen Förderschwerpunkt zur Fortentwicklung des Hilfeplanverfahrens einrichtet, der Forschungs- und Praxi­sentwicklungselemente umfassen wird.

In dieser Ausgabe haben wir Artikel versammelt, die einen Beitrag zur „neuen“, nämlich vorrangig empirisch argumentierenden Diskussion zu leisten vermögen - ohne freilich beanspruchen zu können, das Thema erschöpfend zu behandeln.

Mathias Schwabe reflektiert unter Rückgriff auf Erkenntnisse der Planungs- und Systemtheorie über Möglichkeiten und Grenzen von Planung im Hilfeplangespräch, und erteilt dabei sowohl den Planungsoptimisten, den FreundInnen übersichtlicher Flow-Charts, wie den prinzipiellen Planverweigerern eine wohl begründete Absage. Im Ergebnis plädiert er für eine jeweils neu auszutarierende Mischung aus verbindlich Planbarem, hoffentlich Erreichbaren und bewusst von Planung Auszusparendem.

Frank Früchtel berichtet über das neuseeländische Verfahren der „Family Group Conferences“, die ihm zufolge wesentlich besser als die  Hilfeplanung in Deutschland geeignet seien, „Expertokratien“ zu begrenzen und „lebensweltliche“ Lösungen durch Betroffene zu befördern.

In einem Brief an den Jugendamtsleiter von Paderborn teilen uns Margarete und Katharina mit, was sie sich aus Sicht von zwei betroffenen Mädchen für das Hilfeplangespräch wünschen.

Katharina Klees fasst ihre Evaluationsstudie über die kindzentrierte Hilfeplanung der rheinland-pfälzischen Kinderschutzdienste zusammen und votiert dafür, deren parteiliche Haltung und Methoden nicht nur in Kinderschutzfällen, sondern insgesamt in der Hilfeplanung mehr zum Tragen kommen zu lassen.

Die von Sabine Ader und Christian Schrapper vorgestellten Erfahrungen und Befunde aus deren Forschungsprojekt „Wohin mit den ‚Schwie­rigsten‘?“ scheinen auf den ersten Blick nicht so recht zum Heft­schwerpunkt Hilfeplanung zu passen, weisen aber auf wesentliche Voraussetzungen und Bedingungen für eine qualifizierte Hilfe-Planung und -Durch­­füh­rung hin: Sie erfordern sowohl eine gründ­liche Phase des Fallverstehens als auch eine schonungslose und offene Reflektion der hilfesystem-eigenen Anteile an der Produktion und „Verlängerung“ besonders schwieriger Fälle.

Wolfgang Trede

 

Aus dem Inhalt

Wolfgang Trede:
Verliert die Jugendhilfe ihre Leitwährung? Zur Debatte um neue Tarifsysteme in der sozialen Arbeit

Mathias Schwabe:
Das Hilfeplangespräch als „Planungsinstrument“: Möglichkeiten, Grenzen und Gefahren eines kommunikativen Verfahrens bei der Steuerung und Zielorientierung von Erziehungshilfen

Frankf Früchtel:
Die Moral des Verfahrens: Family Group Conferences als Alternative zum Hilfeplangespräch?

Margarete und Katharina:
„Im Hilfeplan erwartet man ja Hilfe“. Brief an einen Jugendamtsleiter

Katharina Klees:
Die kindzentrierte Hilfeplanung der Kinderschutzdienste. Zur Evaluation eines freien Trägers der Jugendhilfe

Sabine Ader, Christian Schrapper:
Wie aus Kindern in Schwierigkeiten „schwierige Fälle“ werden. Erfahrungen und Befunde aus einem neuen Forschungsprojekt zu einem alten Thema

Roland Stübi:
Zweite Fachkonferenz „Dialog Südosteuropa“

Luise Hartwig:
Kinder in Gewaltbeziehungen

Kaus-Peter David, Dirk Bange:
Kriterien für die Rückführung sexuell missbrauchter Kinder in ihre Ursprungsfamilie

Schlagwörter
Erscheinungsjahr
2002
Ausgabe
1
Sammelband
Nein
Ausgabe Jahr
2002