Mädchen und Gewalt
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Zum Online-Shop„Mädchen von heute: Manche ziehen mit ihrer Gang durch die Straßen und wenn es zum Streit kommt, schlagen sie zu. Was ist aus dem braven Geschlecht geworden?“, so schrieb der Focus schon vor zwei Jahren in einem seiner Leitartikel.
Mädchen und junge Frauen, die zuschlagen, stehen zunehmend im Licht der medialen Öffentlichkeit. Und in der Praxis der Sozialen Arbeit wächst der Druck Handlungsansätze und Lösungen anzubieten.
In der Tat zeigt die polizeiliche Statistik im Deliktbereich der Körperverletzung einen Anstieg weiblicher Tatverdächtiger bei Körperverletzungsdelikten – der im Verhältnis zu männlichen Tatverdächtigen jedoch immer noch gering bleibt.
Wir möchten diesen Anstieg im vorliegenden Heft weder dramatisieren noch bagatellisieren, sondern mit Hilfe kompetenter Autorinnen versuchen zu verstehen, wie es dazu kommt, dass junge Frauen zuschlagen? Was beobachten Fachkräfte? Was sagen die Mädchen und jungen Frauen selbst? Wie wirkt sich eine vermeintliche Gewaltbereitschaft und -ausübung aus in den sozialpädagogischen Angeboten? Und: Was sind die Bedingungen, die dazu führen, dass junge Frauen zuschlagen?
Die im Heft vorgestellten Forschungsergebnisse als auch die Erfahrungen aus der Praxis, dass die jungen Frauen selber chronische Erfahrungen von Gewalt gegen sich selbst oder gegen andere gemacht haben. Es bleibt deutlich, dass Gewalt bei Mädchen und jungen Frauen häufig ein Mittel darstellt, in patriarchalen Verhältnissen – in der Familie, auf der Straße, im Kontext von Prostitution etc. – zu überleben. Gleichzeitig darf die wahrgenommene, nach außen gerichtete Gewalt nicht den Blick auf andere – nicht minder (selbst)zerstörerische – Bewältigungsversuche wie die Gewalt gegen sich selber (Ritzen, Essstörungen) verstellen.
Irma Jansen führt eingangs in den Forschungsstand zum Thema ein, zeigt die – trotz aller medialen Aufregung nach wie vor vorhandene – Dominanz der Gewaltforschung und der entwickelten Hilfeangebote auf Jungen und junge Männer. Der Beitrag behandelt daher die weiblichen Formen von Gewalt und ihre Motive. Die Autorin plädiert dafür, diese Gruppe von Mädchen aus einer gesicherten pädagogischen Beziehung heraus mit den Abwertungen ihrer eigenen Gefühle, ihres Selbstwertes und ihrer Bedürfnisse vorsichtig zu konfrontieren.
Claudia Equit diskutiert anschließend aus der Perspektive von gewaltaktiven Mädchen im Alter von 13 bis 21 Jahren vor dem Hintergrund eines qualitativen Forschungsprojektes die Bedingungen des Gewalthandelns weiblicher Jugendlicher. Es zeigen sich bei den Heranwachsenden (im Selbstbild der Kämpferin und Siegerin) Motive, die ein Wehren gegen wahrgenommene Herabsetzungen und die kompromisslose Verteidigung des eigenen Rufes oder des guten Rufes von Bezugspersonen kompromisslos beinhalten. Auf der anderen Seite berichten gewaltaktive Mädchen ausnahmslos von Opfererfahrungen, etwa durch Gewalt in Familien, durch sexuellen Missbrauch, durch chronische Mobbing-Erfahrungen in der Schule oder durch Opfererfahrungen im Bereich der Heimerziehung oder sonstigen Maßnahmen der Jugendhilfe.
Anke Mohnert und Karin Wirtz geben im dritten Beitrag des Heftes Einblicke in die praktische offene Arbeit mit sich prostituierenden und Drogen konsumierenden jungen Frauen. Sie konstatieren einen Zuwachs von körperlicher, nach außen gerichteter Gewalt, der niedrigschwellige Angebote, die mit zeitweisem Ausschluss bei Gewaltakten innerhalb der Einrichtung zum Schutz der anderen reagieren müssen, an ihre Grenzen führt. Die Autorinnen analysieren sehr selbstkritisch die Dilemmata der sozialpädagogischen Angebote und deuten an, wie wichtig es ist, dann den Kontakt zu halten und zu zeigen, dass die jungen Frauen trotz ihrem unerwünschten Handeln nicht als ganze Person abgelehnt werden.
Schließlich gibt Steph Braun im Gespräch mit Susanne Gerner praktische Einblicke in ein schulbezogenes sozialpädagogisches Projekt zur Gewaltprävention mit Gewalt ausübenden Mädchen. Das Projekt hilft den jungen Frauen erst einmal zu verstehen, wie es zu Gewaltausübung kommt, wie weibliche Heranwachsende in Situationen verwickelt werden und versucht ihnen andere Wege aufzuzeigen, auch ihre Wut loszuwerden – gleichermaßen als Sorge für sich selbst und die eigene Integrität.
Chantal Munsch, Nicole Rosenbauer, Josef Koch
Aus dem Inhalt
Norbert Struck:
Hartz IV-Chips zur Demontage sozialer Infrastruktur
Irma Jansen:
Öffentliche Gewalt von Mädchen - ein verunsicherndes Phänomen.
Claudia Equit:
Weibliche Emanzipation mit den Fäusten? Perspektiven gewaltaktiver Mädchen und Bedingungen ihres Gewalthandelns.
Anke Mohnert / Karin Wirtz:
Gewalttätige Mädchen – Grenzerfahrungen in einer Einrichtung. An- und Einsichten aus der Praxis der Anlauf- und Beratungsstelle Sperrgebiet in Hamburg St. Georg.
Steph Braun:
"Selbst nicht mehr zum Opfer werden und andere nicht zum Opfer machen". Vom Projekt „Zora – Gruppen- und Schulprojekte“, im Gespräch mit Susanne Gerner
Norbert Struck:
Eurochild – 7th Annual Conference „Brighter Futures – Building Effective Partnerships To End Child Poverty.”
Frank Früchtel, Ute Straub:
Standards des Familienrates
Vera Lier:
Sozialpädagogische Pflegestellen – Die Familie als professionelle Institution?
Manfred Busch:
(Un)Zulässige Selbstbeschaffung einer Hilfe (§ 36a Abs. 3 SGB VIII)