Sechster Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung
Zum sechsten Mal seit dem Jahr 2001 legt die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag einen Bericht zu Armut, Reichtum sowie den zentralen Lebenslagen in Deutschland vor. Wie die vorherigen Berichte hat er das Ziel, die soziale Lage in Deutschland faktengestützt zu begutachten, bestehende Maßnahmen zu überprüfen und neue Handlungsschwerpunkte anzuregen. Hierfür trägt er eine Vielzahl an detaillierten Informationen aus relevanten Bereichen zusammen. Er beschreibt Lebenslagen, Aspekte von Wohlstand und Lebensqualität, aber auch Ungleichheiten bei Teilhabechancen und der Verteilung von Einkommen und Vermögen – darunter wird auch zu einzelnen Aspekten die Situation von Kindern, Jugendlichen und Familien, die von Armut betroffen sind beleuchtet.
Neben der Gesamtfassung (555 Seiten), existiert auch eine Kurzfassung (72 Seiten) mit den wesentlichen Erkenntnissen. Zudem bündelt eine begleitende Webseite Stellungnahmen und Positionen verschiedener Verbände (Wohlfahrtsverbände; DGB; Sozialverbände aber auch der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände) sowie die insgesamt 12 wissenschaftlichen Studien und Forschungsberichte, deren Ergebnisse in den 6. Armuts- und Reichtumsbericht eingeflossen sind.
Im Kern schlussfolgert der Bericht aus den vorliegenden Daten, dass es zu einer fortschreitenden Polarisierung der Einkommens- und Vermögenslagen kommt.
Neben der allgemeinen Situation von Familien, Kindern und Jugendlichen berührt der Bericht mit zwei neu aufgenommenen Schwerpunkten zu den Folgen der Corona-Pandemie auf Entwicklung von Ungleichheit und zu Wohnungslosigkeit von jungen Erwachsenen/besonders vulnerabler Gruppen erstmals für die Kinder- und Jugendhilfe relevante Kernthemen, mit denen sich auch die IGfH in den zurückliegenden Monaten inhaltlich beschäftigt hat.
Mit Blick auf die gesellschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie, so heißt es im Bericht, bringt „[…] die Pandemie das Risiko mit sich, die bestehende Ungleichheit mittel- oder sogar langfristig zu erhöhen und Fortschritte bei der Gleichstellung rückgängig zu machen:
* Kinder aus Elternhäusern mit niedrigem Einkommen oder auch geringerem Bildungsstatus waren bei der Bewältigung der pandemiebedingten Umstände besonders großen Hürden ausgesetzt.
* Entlohnung von und Arbeitsbedingungen in - zumeist von Frauen ausgeübten - systemrelevanten Tätigkeiten, insbesondere in Gesundheits- und Pflegeberufen sowie Bildungs- und sozialen Berufen sowie im Einzelhandel spiegeln häufig deren gesellschaftliche Bedeutung nicht angemessen wider.
Für Wohnungslosigkeit von jungen Erwachsenen (zwischen 18 und 25 Jahren) hebt der Bericht als Risikofaktoren hervor: „Zwar spielen auch bei ihnen [jungen Erwachsenen] unsichere und häufig wechselnde Einkommen eine Rolle. Nicht selten haben die jungen wohnungslosen Erwachsenen jedoch vorher phasenweise in stationären Einrichtungen der Jugendhilfe gelebt. Der (unbegleitete) Übergang in andere Hilfesysteme nach Erreichen der Volljährigkeit stellt für manche eine nicht zu überwindende Hürde dar. Die systemübergreifende Zusammenarbeit der Behörden ist häufig nicht ausgeprägt genug. Klassische Angebote der Wohnungsnotfallhilfe meiden junge Wohnungslose weitestgehend, weshalb sie vermutlich häufiger dem kaum beobachtbaren Dunkelfeld zuzurechnen sind. Da sie sich häufig erst spät an das Hilfesystem wenden, können Maßnahmen zur Sicherung einer Wohnung oder Unterstützung bei der Regulierung familiärer Probleme nicht mehr ergriffen werden“ (6. ARB, S. 353).
Spezifisch für die Situation wohnungsloser Frauen gibt der Bericht das Erfahren häuslicher Gewalt als Risikofaktor an. Gleichzeitig liegt genau darin eine Schwäche der Hilfe-Infrastruktur für wohnungslose Frauen. Gerade für diese besonders vulnerable Gruppe fehlt es „(…) vielerorts an auf ihre Bedarfe zugeschnittenen Angebote, da das Hilfesystem in der Regel auf alleinstehende Männer ausgerichtet ist. […] Mitunter weichen sie aufgrund fehlender freier Plätze in Gewaltschutzeinrichtungen auf das System der Wohnungslosenhilfe aus, wobei sie dort nicht die erforderliche Unterstützung erfahren können. Die fehlenden geschlechtergetrennten Angebote (wie getrennten Waschräume) dürften insbesondere für Frauen mit Gewalterfahrung eine kaum zu überwindende Hürde darstellen, solche Hilfeangebote anzunehmen. Im Bereich des Dunkelfelds ist zu befürchten, dass einige Frauen in Wohnungsnot (sexuelle) Abhängigkeitsverhältnisse eingehen, um eine Straßenobdachlosigkeit zu vermeiden. Der Bedarf an fraue
nspezifischen Hilfen ist laut der Studie der GISS groß“ (6. ARB, S. 353).
Insgesamt ermöglicht der mehrdimensional und um die aktuelle Pandemie-Situation erweiterte Bericht erstmals „[…] eine differenzierte Betrachtung von Lebenslagen, auch im zeitlichen Verlauf […]“, so die Stellungnahme des Paritätischen Gesamtverbands (https://www.armuts-und-reichtumsbericht.de/SharedDocs/Downloads/Stellungnahmen/paritaetischer-wohlfahrtsverband.pdf?__blob=publicationFile&v=2) , dem die IGfH angeschlossen ist. Der Paritätische kritisiert jedoch, dass sich das BMAS „[…] offenbar entschieden hat, keine Beteiligung von Armutsbetroffenen aufzunehmen. Zwar werden einige Betroffene zu ihrer Lebenslage befragt, eine Beteiligung findet jedoch nicht statt. Das ist umso kritikwürdiger, als es ein wesentlicher Befund des 5. Armuts- und Reichtumsberichts war, dass die Interessen und Belange einkommensarmer Menschen im politischen Bereich nicht ausreichend repräsentiert würden. Anders als noch im 5. Armuts- und Reichtumsbericht, der Stimmen aus der Konferenz der Armutsbetroffenen berücksi
chtigte, ist eine solche Beteiligung nicht mehr vorgesehen. Der Lebenslagenbericht des Landes NRW bietet ein Beispiel, wie es auch anders geht. Dort gestalten die Wohlfahrtsverbände eine tatsächliche Beteiligung von Armutsbetroffenen und erhalten dafür ein eigenes Kapitel.“
Zum Bericht, Kurzfassung, Stellungnahmen und grundlegende wissenschaftliche Studien unter https://www.armuts-und-reichtumsbericht.de
Quellen: https://www.armuts-und-reichtumsbericht.de/SharedDocs/Downloads/Berichte/sechster-armuts-reichtumsbericht.pdf?__blob=publicationFile&v=2
Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung ; Kurzbericht; Stellungnahme des Paritätischen Gesamtverbands zum Entwurf eines 6. Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung vom 18.03.2021