Abbau von Ressourcen - Abbau von Rechten
Soziale Arbeit agiert zur Zeit unter problematischen und widersprüchlichen Bedingungen. Sie ist einerseits herausgefordert durch einen immensen Hilfe-, Pflege- und Unterstützungsbedarf aufgrund anhaltender Massenarbeitslosigkeit, steigender Armut und fragiler Familienverhältnisse. Sie sieht sich zugleich diskreditiert durch einen neoliberalen 'Kältestrom' von 'Jeder-ist-seines-Glückes-Schmied'-Ideologien, die vor den demoralisierenden Wirkungen sozialstaatlicher Alimentierung warnen, eigentlich aber nur eine Reprivatisierung sozialer Risiken voranzutreiben suchen. Und schließlich wird sie, hier insbesondere die Jugendhilfe, aufgefordert, im Sinne der alten Fürsorgeerziehung Flagge zu zeigen im Umgang mit 'schwierigen' Jugendlichen, gedacht wird dabei offensichtlich an so innovative pädagogische Methoden wie Bestrafung und Einsperren.
Bewusst reflektiert und systematisch einbezogen werden diese bedrückenden Randbedingungen wenig. Ich habe den Eindruck, daß wir gerade in der Jugendhilfe eher die Köpfe einziehen und versuchen, mit immer mehr Fachlichkeit, neuen Steuerungsinstrumenten etc. unter immer schlechteren Bedingungen arbeiten. Aber was nutzt es, wenn wir einer Jugendlichen mit einer fachlich guten pädagogischen Betreuung zu etwas innerer Stabilität und einer Berufsperspektive verhelfen, und mit 18 oder 19 Jahren bekommt sie weder Anschlußhilfen noch einen Ausbildungsplatz? Was nutzen alle Qualifizierungsbestrebungen (ausgetüftelte QM-Systeme, gute Hilfeplan-Methodik, Verwaltungsreformen etc.), wenn Haushalte gedeckelt werden und Hilfeentscheidungen contra legem vom Landrat abgesegnet werden müssen.
Notwendig ist eine Sensibilisierung für die politischen Rahmenbedingungen der sozialpädagogischen Arbeit, eine (Re-?)Politisierung unseres professionellen Handelns. Hierzu gehört, sich erst einmal einen Eindruck zu verschaffen, wie es um die Ressourcen tatsächlich steht, welche (rechtsrelevanten) Praktiken und Zwänge vor Ort festzustellen sind. Es geht also zunächst um ein Stück Empirie. Dies soll in diesem Heft versucht werden.
Da es hinsichtlich rechtswidriger Hilfeentscheidungspraktiken noch nirgends eine systematische Sammlung gibt, ist die Redaktion des "Forum Erziehungshilfen" bereit, Rückmeldungen zu diesem Thema in gebündelter Form zu veröffentlichen und damit die entsprechenden Kommunen öffentlich und ansprechbar zu machen. Die IGfH könnte dann z.B. die entsprechenden Kommunen und Jugendhilfeausschüsse anschreiben und darauf hinweisen, daß diese Regelungen eindeutig rechtswidrig sind. Schon in der Kommentierung von Wiesner zu § 36 (RZ 49) wird zu dieser Frage eindeutig Stellung genommen: "Gelegentlich berichtete Praktiken, nach denen sich aus fachfremden Erwägungen Vorgesetzte (Abteilungsleiter, Jugendamtsleiter, Dezernenten oder Landräte) ein generelles Letztentscheidungsrecht vorbehalten, sind mit den Grundsätzen der Hilfeplanung nach ' 36 nicht vereinbar und deshalb rechtswidrig."
Zu den Beiträgen:
Norbert Struck untersucht anhand der Bundesstatistik sowie den Ergebnissen einer neuen Studie des Deutschen Jugendinstituts das Verhältnis von Ressourcen, Leistungen und Rechten. Ein Fazit: 'Ohne die Wiederbelebung grundlegender sozialer und kultureller Rechte und gesellschaftlicher Perspektiven junger Menschen ist die Jugendhilfe strukturell überfordert und kann bei steigendem Problemdruck den steigenden Erwartungen an ihre Leistungsfähigkeit selbst mit wachsenden Ressourcen nicht gerecht werden.'
Ulrich Bürger stellt zentrale Ergebnisse einer Studie aus dem Schwäbischen vor, die den Einfluß sozialstruktureller Bedingungen auf den Bedarf an Jugendhilfeleistungen untersuchte. Ein wichtiges Ergebnis sei, daß sozialstrukturellen Faktoren die zentrale bedarfsgenerierende Bedeutung zukomme.
Schließlich wird eine Verfügung der bezirklichen Jugendbehörde Hamburg-Wandsbek dokumentiert, in der für das Jahr 1998 pauschale Kürzungen vorgesehen werden. Was wird wohl aus dem Rechtsanspruch auf individuell notwendige und geeignete Hilfe, wenn in Wandsbek im Oktober 1998 die dekretierte Fallzahl bereits erreicht ist?
Wolfgang Trede
Aus dem Inhalt
Georg Landenberger:
Wir brauchen mehr soziale Gerechtigkeit und keine neue Ost-West-Debatte
Norbert Struck:
Abbau von Ressourcen - Abbau von Rechten?
Ulrich Bürger:
Die Bedeutung sozialstruktureller Bedingungen für den Bedarf an Jugendhilfe-leistungen - Forschungsergebnisse und fachpolitische Konsequenzen
Yvonne Steindamm:
Hilfe - die Jugendhilfe!!!
Sabine Lotze:
Straßenkinderforum in Warschau - eine Reisenotiz
AFET
,
EREV
, IGfH und katholischem Fachverband:
Jugendhilfe: Hilfe, nicht Strafe! Stellungnahme zur Debatte um Jugendkriminalität
Mathias Schwabe:
Konfrontieren, Kontrollieren, Grenzen setzen: `Dirty Work` oder unverzichtbare Elemente einer alltagsorientierten Erziehungshilfe?
Werner Freigang:
Wissen, für wen wir etwas tun ... - Erwiderung auf den Beitrag von M. Schwabe
Ulrike Bavendiek:
Zur Situation und Perspektiven der Tagesgruppen - Rückblick und Ausblick anlässlich der 11. Bundestagung Tagesgruppen