Generationenverhältnisse in den Hilfen zur Erziehung
Die „Alten“ hängen an ihren Überzeugungen, die längst ihre Gültigkeit verloren haben, weil sie sich diese in einer Zeit erkämpft haben, die sich bis zur Unkenntlichkeit verändert hat – das führt dann meist zu enormer Resignation und Müdigkeit. Die „Jungen“ wissen ohne ihre für jede private und berufliche Situation zuständige App – die sie genauso unhinterfragt einsetzen, wie sie schon ihr Studium nur mit Wikipedia und copy&paste schaffen konnten – überhaupt nicht, wie sie sich in dieser Welt zurechtfinden sollen. Und was ist eigentlich mit der mittleren Generation? Man staunt dort über die eindrucksvollen Geschichten und Errungenschaften der Alten und wartet darauf, dass die Jungen die Lösungen für die aktuellen und zukünftigen Probleme finden – zutrauen kann man ihnen das natürlich nicht, weil die Komplexität der Lebensverhältnisse weiter zunimmt und sie selbst ja auch keine Lösung gefunden haben...
So oder so ähnlich sollte dieser Themenschwerpunkt auf gar keinen Fall werden. Keine Allgemeinplätze, keine Festschreibung von Vorurteilen und keine Resignation. Ganz schön viel kein. Wenn wir uns in dieser Zeitschrift mit den Generationen, Generationskonflikten und den Chancen intergenerationalen Austauschs in der Sozialen Arbeit beschäftigen, dann doch bitte möglichst multiperspektivisch und differenziert.
Dass es unterschiedliche Alterskohorten gibt, die in der gleichen Gesellschaft zur selben Zeit leben und arbeiten, ist keine neue Entdeckung. Interessant und neu ist allerdings, wie wir mit dem umgehen, was uns voneinander trennt und was uns miteinander verbindet. Das kann sich sowohl auf die strukturellen Bedingungen beziehen, in deren Grenzen sich das Leben und Arbeiten aktuell abspielt, als auch auf die individuell erlebten Sozialisationsbedingungen, die zumindest Einfluss darauf haben, wer oder was wir sind. Das Sozialisationsfeld sowie die Lebens- und Arbeitsbedingungen sind abhängig von denen, die zeitweise Definitionsmacht besitzen. Daraus wächst Verantwortung und Resignation verbietet sich von selbst. So moralisch? Ja, unbedingt. Denn das ist der Teil eines Generationenvertrages, der sich auch theoretisch nicht privatisieren lässt und der mit Blick auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen kein Desinteresse ohne langfristige Auswirkungen zulässt.
Auch innerhalb IGfH haben wir damit begonnen, uns für die Belange der anderen Generationen zu interessieren und den Austausch intensiv voranzutreiben. Dabei sind wir noch lange nicht an einem Ziel angelangt, sondern stellen bei unterschiedlichen Gelegenheiten fest, wie anspruchsvoll und zum Teil auch anstrengend solche Generationendia- und -trialoge sein können. Was Mut macht, ist zu sehen, wie viel in kurzer Zeit in Bewegung kommen kann und wie viel wir voneinander lernen können. Dieses Heft soll dazu einen Beitrag leisten und anregen, die Debatten zwischen den Generationen auszuprobieren, zu verfeinern und dafür zu nutzen, die Profession weiterzuentwickeln.
Andrea Dittmann eröffnet im ersten Beitrag einen Einblick in die sich verändernden Merkmale, Bedingungen und Bewältigungsformen dreier Generationen in der Sozialen Arbeit. Im zweiten eher theoriebezogenen Beitrag erweitert Friedhelm Peters den Generationenbegriff um seine gesamtgesellschaftliche und ordnende Dimension. Helga Flamm ermöglicht im dritten Beitrag den Zugang zu einer praxisnahen und neuen Perspektive auf das Generationenthema, indem sie die Rahmen- und Umfeldbedingungen innerhalb der Sozialen Arbeit akzentuiert. Der vierte Beitrag dokumentiert die Antworten aus einem Interview von Dirk Schäfer mit drei Fachkräften unterschiedlicher Generationszugehörigkeit, die in der stationären Jugendhilfe arbeiten. Linda Kagerbauer konzentriert sich im fünften Beitrag darauf, das Generationenthema und die damit verbundenen Konflikte zu politisieren, um den Fokus innerhalb und außerhalb der Mädchenarbeit auf strukturelle Bedingungen von Verständigung zu richten.
In diesem Themenschwerpunkt sind die Jahrgänge der AutorInnen und InterviewpartnerInnen aufgeführt, damit Sie einen Eindruck gewinnen können, wer zu diesem Thema was und vielleicht auch warum geschrieben hat.
Dirk Schäfer, Andrea Dittmann
Aus dem Inhalt
Friedhelm Peters:
Sozialberufe als Resterampe der Berufswelt?
Andrea Dittmann:
Generationen von Professionellen in der Sozialen Arbeit
Friedhelm Peters:
Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen – Thesen zum Bedeutungsgehalt des Begriffs `Generation`
Helga Flamm:
Generationenunterschied oder Kontextüberlagerung?!
Dirk Schäfer:
„1949/1973/1987“: Ein Interview – drei Generationen
Linda Kagerbauer:
Gemeinsam sind wir stark?! – Generationen in der feministischen Mädchenarbeit
Claudia Daigler:
„Ich fand das ganz gescheit.“ Beschäftigungsprojekte als Bildungsorte?
Michael Behnisch, Christina Henseler:
Handynutzung in der Heimerziehung
Sven Heuer:
Die Macht der Konfrontativen Pädagogik – zur Kritik punitiver Trends in der Professionsbestimmung Sozialer Arbeit
Olaf Hopfgarten:
Anwendung des Persönlichen Budgets in der Kinder- und Jugendhilfe