Ombudschaft in der Jugendhilfe

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ForE 1-2020

Ombudschaft in der Jugendhilfe hat sich mittlerweile zu einem fachpolitisch anerkannten Anspruch entwickelt, der sich zunehmend strukturell im System der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe verankert. Ombudsstellen sind unabhängige Beratungs- und Beschwerdestellen, an die sich junge Menschen und ihre Familien bei Konflikten mit öffentlichen und leistungserbringenden Trägern der Jugendhilfe wenden können. Ziel der ombudschaftlichen Beratung ist es, diese über ihre Rechte und Ansprüche aufzuklären, sie − wenn nötig − durch persönliche Begleitung und vermittelndes Agieren zu unterstützen und auf diese Weise zu Einzelfallgerechtigkeit beizutragen. Zudem möchte Ombudschaft durch (fach-)politische Lobbyarbeit auf eine bedarfsgerechte und adressat*innenorientierte Jugendhilfe hinwirken. Als kleine soziale Graswurzelbewegung vor über 15 Jahren gestartet, blicken die bundesdeutschen Initiativen und Projekte der ombudschaftlichen Beratung in der Jugendhilfe auf eine noch junge und durchaus von vielfältigen Widerständen geprägte Etablierungsgeschichte zurück. Dass Idee und Ziel von Ombudschaft mittlerweile fachpolitische Anerkennung gefunden haben, zeigt sich aktuell im laufenden SGB VIII-Reformprozess und der ministeriell vertretenen Auffassung einer bundesgesetzlichen Implementierung von unabhängigen Ombudsstellen.

Dieses Heft gibt einen Überblick über den Status quo der Ombudschaft in der Jugendhilfe, in dem fachpolitische und beratungspraktische Entwicklungen und Erfahrungen sowie Aspekte einer rechtlich-infrastrukturellen Verankerung von Ombudschaft aufgezeigt werden.

Zu Beginn gibt Ulrike Urban-Stahl Einblicke in die Verankerung ombudschaftlicher Konzepte in der Jugendhilfe, erläutert den Begriff Ombudschaft und dessen neue professionelle Rolle sowie daraus erwachsende Folgen und Nebenwirkungen. Sie warnt vor einer legitimatorischen Entlastung der übrigen Jugendhilfepraxis und spricht sich dafür aus, Ombudsstellen als Knotenpunkte von Fachkräfte-Netzwerken (und nicht nur als hauptamtlich organisierte Spezialdienste) zu gestalten. Sie plädiert im Falle einer Ausweitung von Ombudschaft auf weitere Bereiche der Jugendhilfe dafür, Ombudschaft auf diese feldspezifisch zu beziehen und entsprechend zu entwickeln.

Andrea Len und Lydia Tomaschowski informieren über die heterogene Praxis ombudschaftlicher Beratung und deren Strukturen im Bundesgebiet. Hierbei greifen sie auf eine Befragung der Ombudsstellen des Bundesnetzwerks zurück. Sie stellen die Frage, wie insbesondere im ländlichen Raum eine niedrigschwellige und flächendeckende ombudschaftliche Beratungsstruktur erreicht werden kann und in welcher Weise Ombudschaft gesetzlich verankert werden sollte.

Mit den Streitpunkten der Fachdebatte befasst sich Peter Schruth. Der Beitrag greift drei Schwerpunkte der streitigen Debatte auf: die Ombudschaft im System der Jugendhilfe und deren wohlfahrtsstaatliche Einordnung, die Abwehrargumentationen der öffentlichen Jugendhilfe trotz erheblicher Beschwerden in der ombudschaftlichen Beratungspraxis sowie das Primat der Unabhängigkeit ombudschaftlicher Beschwerdeberatung.

In einem Interview mit Valentin Kannicht beschreiben eine Mutter, die von einer Ombudsstelle unterstützt wurde, und eine Fachkraft des Jugendamtes Dresden ihre beidseitigen Erfahrungen mit Ombudschaft, insbesondere hinsichtlich erlebter Potenziale und Grenzen der ombudschaftliche Beratung; in einem anschließenden Essay „Hilferuf aus der Hilfe!“ pointiert Valentin Kannicht Überlegungen zum ombudschaftlichen Auftrag, wenn Ratsuchende regelhaft beklagen, nicht die Hilfen zu erhalten, die sie erwarten (dürfen).

Schließlich lotet Angela Smessaert die Möglichkeiten und Grenzen einer Implementierung von Ombudschaft im SGB VIII aus. Ihr geht es um eine fachpolitische Einschätzung eines (nur) programmatischen Infrastrukturangebots bzw. eines handfesten Rechtsanspruchs junger Menschen und ihrer Familien auf ombudschaftliche Beratung.

In ihrem Beitrag in der Rubrik „Rechtsfragen“ beleuchtet Gila Schindler wesentliche Fragen der rechtlichen Rahmenbedingungen ombudschaftlicher Beratung, insbesondere hinsichtlich der Rolle Minderjähriger als Verfahrensbeteiligte.

Andrea Len, Valentin Kannicht, Peter Schruth, Lydia Tomaschowski

 

Aus dem Inhalt

Ulrike Urban-Stahl: Die mögliche Verankerung von Ombudschaft in der Kinder- und Jugendhilfe: Überlegungen zu Folgen und Nebenwirkungen

Andrea Len, Lydia Tomaschowski: Wie funktioniert Ombudschaft? Einblicke in ein heterogenes Feld

Peter Schruth: Ombudschaft in der Jugendhilfe: Streitpunkte der Fachdebatte

Valentin Kannicht:„Ich hatte nämlich auch eigene Ideen gehabt.“ – Erfahrungen mit Ombudschaft aus Betroffenen- und Fachkräftesicht

Angela Smessaert: Jedes Mittel recht? Zur Implementierung von Ombudschaft im SGB VIII

Sabrina Brinks, Rebecca Schmolke: Familien verstehen, Vielfalt anerkennen – Kinder- und Jugendhilfe zwischen normativen Familienbildern, Reflexionserfordernissen und Entwicklungsbedarfen

Miriam Fritsche: Angehörige als Einzelvormund*innen für unbegleitete minderjährige Geflüchtete: Einschätzungen aus einem kaum bekannten Praxisfeld