Qualitäts(verun)sicherung

ForE_3_1996

Mit den Qualitätssicherungskonzepten in der Jugendhilfe ist es ähnlich wie mit dem Thema "Neue Steuerung": Wenn bei deren Umsetzung nicht nur ein Scherbenhaufen produziert werden soll, sondern gar ein Quentchen fachlicher Gewinn eingestrichen werden soll, dann brauchen solche Konzepte dringend (fach-)verständige Interpretlnnen, die sie davor bewahren, zu schierem Unfug zu verkommen. Manche der Qualitätssicherungsmethoden, die heute anempfohlen werden, lesen sich eher wie der wortgewordene Zwang zur Explikation und Regelung von allem und jedem. In manchen Anweisungen zur Erstellung von Qualitätshandbüchern hat der deutsche Bürokratismus sich noch einmal selbst übertroffen und Gewerkschafterinnen können sie getrost als Leitfaden für die Streikform "Dienst nach Vorschrift" nutzen.
Das Produktivvermögen "sachkundige Lösungskreativität der Mitarbeiterinnen jenseits von Vorschriften", das doch in den Konzepten so oft beschworen wird, droht unter Formalisierungen erstickt zu werden. Insofern hätte sich auch ein Heft mit dem Schwerpunkt "Realsatire" angeboten.

Andererseits gibt es in der Jugendhilfe durchaus Traditionen, die Qualität und Wirksamkeit ihrer Angebote kritisch zu durchleuchten und im Interesse von Kinder und Jugendlichen zu verbessern. Auf der Linie dieser Traditionen gibt es gute Gründe, in den gegenwärtigen Diskussionen selbstbewußt und mit dem Wissen um Grenzen und notwendige Differenzierungen versehen, das Thema Qualitätssicherung zu besetzen, um so der Lawine zwanghaft-technokratischen Treibens entgegenzutreten. Wir haben uns bei diesem Schwerpunktheft für diesen sachlich-nüchternen Zugang entschieden.

Auch wenn wir den Verunsicherungen, die durch den eingeleiteten Sozialstaatsabbau erzeugt werden, keine Versicherungen entgegenhalten können, so hoffen wir doch, ein paar Orientierungshilfen im boomenden Qualitätsdiskurs geben zu können.

Joachim Merchel gibt in seinem Aufsatz einen Überblick über die Hintergründe der aktuellen Qualitätsdebatten und nimmt Fäden eigener Qualitätsbestimmungen und -vergewisserungen in den Erziehungshilfen auf. Er tritt damit einer modischen Managerkrankheit entgegen: dem Gedächtnisverlust angesichts neuer Modelle. In den von ihm dargelegten Perspektiven der weiteren Auseinandersetzung mit dem Thema Qualitätssicherung präzisiert er sein Plädoyer für eine von Seiten der Jugendhilfe offensiv zu führende Qualitätsdebatte, die Aushandlung und Partizipation in ihren Mittelpunkt stellt.

Wolfgang Beywl und Bettina Kammerichs stellen "Potentiale praxisorientierter Evaluation Sozialer Arbeit" anband eines Werkstattberichts zur Untersuchung einer Sozialpädagogischen Familienhilfe dar. Sie schildern Schritte und Problemkonstellationen auf dem Weg einer solchen Evaluationsstudie. Exemplarisch wird hier das
Verhältnis von Ausgangsbedingungen, verfügbaren Ressourcen und bearbeitbaren Fragestellungen deutlich, ohne dessen Beachtung sich Evaluationsvorhaben schnell in widersprüchlichen Politiken verheddern können.

Schließlich dokumentieren wir das einleitende Referat von Willi Hausmann, Staatssekretär im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, auf der Fachtagung "Initiative Qualitätssicherung in der Kinder- und Jugendhilfe" im Januar 1996 in Bonn. Er faßt die Überlegungen seines Hauses zusammen und unterstreicht dabei den zunehmenden Außendruck auf die Jugendhilfe, die für sie aufgewendeten öffentlichen Mittel wirkungsbezogen zu legitimieren. Jugendhilfepolitisch bedeutsam ist sein Signal gegen das Zertifizierungsgeschäft der ISO 9000 ff-Testierer.


Norbert Struck