Was hat der runde Tisch Heimerziehung gebracht?

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ForE 5-2011

Runde Tische zwischen Betroffenen und Institutionen sind ein Versuch der Aufarbeitung von erlittenem Unrecht. Mit der Veröffentlichung des Abschlussberichts des „Runden Tischs Heimerziehung“ sind auch die Grenzen der Aufarbeitung in dieser Form deutlich geworden. Die Tagesschau titelte am 13.12.2010: „Runder Tisch endet mit Eklat.“ Die ehemaligen Heimkinder kritisierten nicht nur den Bericht, sondern insbesondere die im Bericht formulierten Handlungsempfehlungen umfassend. Neben der Kritik an der Form der Entschädigung, bemängelten die Betroffene auch die unzureichende Beteiligung im Rahmen des Runden Tisches.

Eine solche Kritik von Betroffenen kann in der Fachöffentlichkeit nicht unbeachtet bleiben. Daraus folgen muss – auch unabhängig von den konkreten Ergebnissen dieses Runden Tisches – eine Reflektion und Analyse der Angemessenheit verschiedener Formen der Aufarbeitung von Unrecht in institutioneller Heimerziehung. Diese Analyse muss den Blickwinkel der ehemaligen Heimkinder ernst nehmen und ihnen Raum für ihre Sicht der Dinge einräumen.

Die Analyse des Aufarbeitungsprozesses vergangenen Unrechtes ist wesentlich für das Verständnis der heutigen Machtverhältnis zwischen AdressatInnen und öffentlichen wie freien Trägern in den erzieherischen Hilfen: Sie verweist auf die Schwierigkeiten und Möglichkeiten der Partizipation von AdressatInnen – die sich ja gerade in konflikthaften Situationen und bei gegensätzlichen Interessen bewähren sollte. Und: Immer ist auch die Frage aufgeworfen, wie weit diese Selbstreflexion und das Zulassen von Kritik möglich sind, wenn sie den „guten Ruf“ und die finanziellen Ressourcen von Institutionen tangieren.

In diesem Heft soll mit weiterem Abstand zur Veröffentlichung des Abschlussberichtes des Runden Tisches Heimerziehung im Dezember 2010 und jenseits der „ersten Aufregung“ eine Rückschau auf die Prozesse des Runden Tisches aus unterschiedlichen Perspektiven geleistet werden.

Norbert Struck denkt selbstkritisch als Fachreferent des DPWV und AGJ -Vorsitzender, der am Runden Tisch Heimerziehung beteiligt war, grundsätzlicher über die Leistungen und strukturellen Überforderungen des Runden Tisches nach.

Chantal Munsch und ihre InterviewpartnerInnen Sonja Djurovic, EleonoreFleth und Dr. Hans-Siegfried Wiegand sowie Rolf Breitfeld zeigen wie strapaziös die Mitarbeit am Runden Tisch für ehemalige Heiminsassen war. Sie machen deutlich wie schwer es ist, in einem offiziellen Gremium, kühle und rationale Verfechter der eigenen Sache zu sein, und auch immer emotional Betroffene/r des erlittenen Unrechts.

Manfred Kappeler zeigt am Beispiel der Regionalgruppe Berlin wie der Einbezug der Selbstorganisation Ehemaliger Heimkinder in Regionen funktionieren kann und welche substanzielle Bedeutung der Beteiligung Ehemaliger Heimkinder an allen sie betreffenden Entscheidungen zukommt, wenn entsprechende politische Rahmungen geschaffen werden können.

Barbara Bütow greift die Diskussion um die ehemaligen Heimkinder in der DDR auf. Sie kritisiert dass man für die Gleichstellung von DDR-Heimkindern auf keine ausreichende wissenschaftliche (auch rechtlichabgesicherte) Basis – im Vergleich zur Aufarbeitung der BRD-Jugendhilfe – zurückgreifen kann. Weiterhin schildert sie die Arbeit des „Thüringer Runden Tisches“ und den dortigen Weg, Betroffene an der Aufarbeitung zu beteiligen.

Zum Abschluss skizziert Peter Schruth die Bedeutung, der ombudschaftlichen Unterstützung von Leistungsberechtigten der Jugendhilfe. Er weist darauf hin, dass in der Geschichte der ehemaligen Heimkinder die schrecklichen Folgen fehlender (unabhängiger) Korrektive deutlich werden und skizziert die daraus folgenden Anforderungen an die heutige und zukünftige Jugendhilfe.

Am 7. Juli 2011 beschloss der Deutsche Bundestag eine weitgehende Übernahme der Empfehlungen des Runden Tisches Heimerziehung (RTH). Die Bundesregierung wird aufgefordert, in Abstimmung mit den betroffenen Ländern und Kirchen zeitnah eine angemessene Umsetzung der Lösungsvorschläge des RTH vorzulegen, eine geeignete Rechtsform für die Umsetzung der Vorschläge vorzuschlagen, die Einsichtnahme in Akten und Dokumente der Kinder- und Jugendhilfe bzw. des Vormundschaftswesens zu erleichtern und im Juni 2013 einen Bericht über den Stand der Umsetzung vorzulegen. Das wäre das Mindeste, was getan werden muss!

Chantal Munsch, Xenia Spernau

 

 

Aus dem Inhalt

Norbert Struck:
Der Runde Tisch Heimerziehung und seine Folgen – eine Zwischenbilanz

Chantal Munsch:
Der Runde Tisch Heimerziehung aus der Perspektive der Betroffenen - im Gespräch mit Sonja Djurovic, Eleonore Fleth und Dr. Hans-Siegfried Wiegand sowie Rolf Breitfeld

Manfred Kappeler:
Die Berliner Regionalgruppe Ehemaliger Heimkinder

Birgit Bütow:
Das „Thüringer Modell“ – Zur Beteiligung von DDR-Heimkindern an der Aufarbeitung ihres erfahrenen Unrechts

Peter Schruth:
Ausblicke auf mehr unabhängige Ombudschaft in der Jugendhilfe

Matthias Moch:
Studienreise nach Rumänien

Claus Gudat:
Crossroads oder: als Deeskalationstrainer unterwegs im Kinderheim Marianum Krefeld

 Stephan Cinkl:
Wie bewerten Familien sozialpädagogische Diagnosen? Einsichten und Ergebnisse eines Praxisforschungsprojektes

Arbeitskreis der JugendhilfereferentInnen im Paritätischen Wohlfahrtsverband:
Unabhängige Beschwerdestellen für Kinder, Jugendliche und Familien: Ombudschaften als Normalfall der Partizipation - ein Diskussionspapier

Norbert Struck:
Zu den Diskussionen unter dem Thema „Weiterentwicklung und Steuerung der Hilfen zur Erziehung“, die viele Facetten hat – auch sehr problematische!

Erscheinungsjahr
2011
Ausgabe
5
Sammelband
Nein
Ausgabe Jahr
2011