Intensivpädagogische Auslandsmaßnahmen

aus: Kritisches Glossar Hilfen zur Erziehung. Düring, Diana et al. (Hrsg.) (2014)
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Ausgangslage

Nach einer Pionierphase in den 1980er-Jahren, in der durchaus abenteuerliche und daher zu Recht unter der Chiffre „Erlebnispädagogik“ verhandelte Projekte für schwer erreichbare Jugendliche als Alternative zur geschlossenen Unterbringung konzipiert wurden, etablierten sich Auslandshilfen in den 1990er-Jahren und nahmen quantitativ mit geschätzten weit über tausend Hilfen pro Jahr deutlich zu. Gleichzeitig verlief diese Entwicklung durchaus krisenhaft, zumal die Hilfen im Ausland fernab der heimatlichen Heimaufsicht und oft unerreichbar für innerdeutsche Qualitätsdebatten mitunter seltsame Blüten trieben. Die daraus folgenden Skandale wurden dann auch immer wieder in den Medien und in der Politik diskutiert. Zunächst wurde – obwohl von manch politischer Seite (etwa der CSU) immer wieder gefordert – eine gesetzliche Regulierung oder gar ein Verbot von Auslandshilfen durch das BMFSFJ abgelehnt. Stattdessen wurde auf Qualitätsentwicklung im Rahmen von Selbstverpflichtungen u. a. gesetzt. Anfang der 2000er-Jahre wurde deutlich, dass diese Selbstverpflichtungen, deren Nichtbeachtung durchweg folgenlos blieb, lediglich eine Alibifunktion erfüllten. Folglich kam es 2005 durch das Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz (KICK) erstmalig zu gesetzlichen Vorgaben. So wurden und werden abseits der im Ausland nicht handlungsberechtigten Landesjugendämter nun die Jugendämter verstärkt in die Aufsichtsfunktion gebracht. Sie haben über § 78b SGB VIII sicherzustellen, dass die von ihnen beauftragten freien Träger die Behörden des Gastlandes involvieren, mit Botschaften und Konsulaten zusammenarbeiten und in der Betreuung nur Fachkräfte einsetzen (Fachkraftgebot). Zudem wurde in § 27 Abs. 2 SGB VIII geregelt, dass Auslandshilfen nur in begründeten Einzelfällen durchzuführen sind (was sie letztlich auch gesetzlich in die Position der Ultima Ratio drängt) und dass durch eine Stellungnahme eines Psychiaters/ Psychotherapeuten eine psychische Störung mit einem im Ausland nicht zu deckenden Behandlungsbedarf auszuschließen ist (§ 36 Abs. 4 SGB VIII). Etwa zeitgleich mit dem KICK kam auch die Frage auf, ob die Brüssel IIa genannte EU-Verordnung1 auch auf Auslandsmaßnahmen anzuwenden sei. Demnach müsste die Behörde des entsendendem Landes (i. d. R. das Jugendamt) die zuständige Behörde des EU-Gastlandes vor der Unterbringung konsultieren, also um Erlaubnis bitten. Nach anfänglichen Unklarheiten ist nun geklärt, ​* dass die Verordnung in den meisten Mitgliedstaaten (s. u.) auch für Auslandshilfen Anwendung findet.

Durch besonders heftige öffentliche Skandalisierungen im Jahr 2004 und das KICK ist davon auszugehen, dass es in dieser Zeit zu einem deutlichen Rückgang von Auslandshilfen kam. Für den Dezember 2006 konnte eine erstmalige Stichtagserhebung ca. 600 Hilfen ermitteln bzw. hochrechnen (Wendelin/ Pforte 2007). Seit 2008 hat sich die Zahl nach der amtlichen Statistik bei etwa 500 Hilfen (Stichtag) eingependelt. Für 2011 werden 537 (Statistisches Bundesamt 2012: 21 f.) und für 2012 werden 556 Hilfen (Einzelauskunft Statistisches Bundesamt) ausgewiesen. Durch die Kinder- und Jugendhilfestatistik wird erst seit 2007 bei den Hilfen nach § 34 und § 35 SGB VIII zusätzlich erhoben, ob die Hilfe im Ausland stattgefunden hat. Hierbei ist allerdings zu beachten, dass nicht genau erhoben wird, ob es sich explizit um Intensivpädagogische Auslandshilfen handelt. Es können sich darunter also auch Hilfen verbergen, die in anderem Kontext im Ausland stattfinden (vgl. Wendelin 2013). Altersstruktur und Geschlechterverteilung lassen allerdings annehmen, dass es sich hierbei zum weit überwiegenden Teil um die hier gemeinten Hilfen handelt. Hinzu kommen noch einige Auslandshilfen, die von Österreichischen Jugendämtern über freie Träger in Deutschland realisiert werden.

Bis Anfang der 2000er-Jahre waren Intensivpädagogische, auch geläufig als Individualpädagogische Auslandshilfen weitgehend unerforscht (Ausnahme Klawe/Bräuer 1998). Seither gab es allerdings einige kleinere (Selbst-)Evaluationen und vor allem drei größer angelegte Forschungsprojekte, durch die Auslandshilfen unterdessen qualitativ und quantitativ recht gut erforscht sind (vgl. Witte 2009, Wendelin 2011, Klein/Arnold/Macsenaere 2011). Einigkeit besteht bei den Durchführenden der Studien darin, dass Hilfen im Ausland generell sinnvoll sind und einer bestimmten Gruppe von Jugendlichen Entwicklungsmöglichkeiten eröffnen, die in Deutschland so nicht angeboten werden können. Davon zeugen auch teils beeindruckende Entwicklungen während der Hilfe.

Eine generelle Schwäche all dieser Untersuchungen liegt darin, dass sie lediglich die Auslandshilfen selbst in den Blick nehmen und keine zuverlässigen Aussagen über Entwicklungen nach dem Transfer und über die Nachbetreuung machen können. Die Langzeitfolgen sind also weitgehend unbekannt und insbesondere für Auslandshilfen, die fernab der gewöhnlichen Lebenswelt ihre Entwicklungen vollziehen, stellt diese Reintegration in die Lebenswelt die wohl entscheidende Herausforderung dar. Weiterhin kamen die Untersuchungen hinsichtlich der Qualität der Hilfen zu sehr unterschiedlichen und teilweise hoch problematischen Ergebnissen – und dies nach dem Erlass der neueren gesetzlichen Regelungen (vgl. hier insbesondere Wendelin 2011, Daten von 2008). So konnten einige Hilfen angetroffen werden, die hochprofessionell und nach allen Regeln der Kunst durchgeführt wurden. Gleichzeitig gab es einige Hilfen, die von einem professionellen Betreuungsangebot weit entfernt waren. Die meisten Angebote jedoch spielten sich in einem Wechselspiel von Licht und Schatten zwischen diesen beiden Polen ab.

Häufigste Problemfelder waren dabei:

  • Fachkraftquote: lediglich 50 % der Betreuungen wurden von Fachkräften (nach Maßstäben deutscher Landesjugendämter) durchgeführt;
  • Strukturen vor Ort: insbesondere Nichtfachkräfte erhielten häufig keine Supervision und teilweise nur sporadisch Beratung durch Koordinatoren;
  • Stellungnahme nach § 36 Abs. 4 SGB VIII: Die Stellungnahme lag nur in 27 % der Fälle vor und die medizinische/psychiatrische Versorgung vor Ort war oft ungenügend;
  • Hilfeplanung: nur 13 % der Jugendlichen lernten die Betreuungsperson vor der Hilfe im Inland kennen, die Hilfeplanung verlief oft schnell und unstrukturiert, mitunter ohne Beteiligung der Jugendlichen;
  • Anschlussbetreuung: häufig bestand keine sorgfältige oder fachlich fundierte Planung für Transfer und Nachbetreuung;
  • Zusammenarbeit mit Behörden der Gastländer und Konsulaten: überwiegend bestanden nur halboffizielle Duldungen oder gar keine Kontakte.

Einen besonderen Punkt stellte und stellt die Rolle der Jugendämter – deren ohnehin schon bestehende Aufsichtsfunktion durch das KICK noch intensiviert wurde – dar. Nur etwa die Hälfte der Jugendämter hatte die konkrete Hilfe im Ausland in Augenschein genommen oder hatte dieses vor. Noch weniger (s. o.) hatten sich im Vorfeld der Hilfe einen persönlichen Eindruck von den Betreuungspersonen gemacht.

Abgesehen von dem zu betreibenden Aufwand, der hier sicherlich eine Hürde für eine effektive Aufsicht darstellt, zeigt sich hierbei auch ein Webfehler der KICK-Regelungen: Für Jugendämter sind Träger, die ihnen ihre „schwierigen Fälle“ (die gleichermaßen Handlungsdruck und Hilflosigkeit erzeugen) abnehmen, hoch willkommen. Das Interesse einer kritischen Prüfung und damit Gefährdung der angedachten Hilfe genießt hier nachgeordnete Priorität. Es entstehen also Interessenkollisionen, die sicherlich dazu beitragen, dass die Qualitätsentwicklung von Auslandshilfen nur schleppend vorangeht. Hinzu treten Unsicherheiten und Unkenntnis insbesondere der kleineren Jugendämter, die nur selten mit Auslandsmaßnahmen konfrontiert sind. Ergebnis sind Allianzen zwischen Jugendämtern und Trägern, in denen weiterhin beispielsweise die Betreuung mit Nichtfachkräften stillschweigend hingenommen wird – da wird der kirgisische Sport-Übungsleiter als sozialpädagogische Fachkraft akzeptiert. Konzeptionell sind neben einigen unkonventionellen Konzepten zwei „Klassiker“ vorzufinden: 1. Betreuungen mit deutschen ausgewanderten Fachkräften, überwiegend lokalisiert in Südeuropa. 2. Betreuungen mit einheimischen Gastfamilien, die überwiegend keine fachliche Qualifikation mitbringen und oft auch kein Deutsch sprechen, überwiegend lokalisiert in Osteuropa, Namibia oder Kirgisien. Von den „historischen“ Formen der Stand-, Reise- und Segelprojekte (vgl. Klawe/Bräuer 1998, 96) existieren überwiegend noch die Standprojekte. Reise- und Segelprojekte bilden die Ausnahme (vgl. Wendelin 2011: 21 f.).

Grundsätzliche Skepsis gegenüber Auslandshilfen wird hinsichtlich ihrer strukturellen Geschlossenheit und ihrer systematischen Funktion in der HzE- Landschaft formuliert. Bezüglich der Geschlossenheit wird gelegentlich die Frage aufgeworfen, ob eine Betreuung in großer Abgeschiedenheit, in der ein Entweichen durch weitläufige und unüberwindbare Naturlandschaften unmöglich ist, nicht auch als geschlossenes Setting – möglicherweise sogar geschlossener als die geschlossene Heimunterbringung – gelten müsste. Die Untersuchung von 81 verschiedenen Betreuungssettings in 13 verschiedenen Ländern hat jedoch gezeigt, dass eine solche geographische Geschlossenheit nur in seltenen Fällen in Island (unterdessen eingestellt) und Namibia vorzufinden waren. In der Regel sind die Betreuungsorte in Ballungsgebieten, in Stadtnähe oder zumindest dicht an gut angebundenen Verkehrswegen gelegen, so dass eine selbstbestimmte Exploration infrastrukturell durchaus möglich ist. Schlösser, Riegel und Mauern sind in Auslandshilfen ohnehin nicht zu finden, so dass die Settings in jeglicher Hinsicht strukturell offen sind. Was hingegen deutlich einschränkend wirkt, ist die anfängliche Unkenntnis des Gastlandes – die Fremde. Die Jugendlichen wagen die Exploration nicht, weil sie das Gastland, die Sprache, die Kultur schlicht nicht kennen und ihnen folglich die notwendige Souveränität fehlt. Nach einiger Zeit im Gastland werden entsprechende Ressourcen aber aufgebaut und die einschränkende Wirkung schwindet. Matthias Witte bezeichnet diesen Effekt zwar als „funktionales Äquivalent zur geschlossenen Unterbringung“ (Witte 2010: 373, dazu auch Wendelin 2011: 34 f.). Als geschlossene Unterbringung selbst kann man diese Settings m.E. aber weder juristisch noch fachlich einordnen: Die persönlichen Freiheiten der Jugendlichen werden auch mit Blick auf nicht vorhandene Strukturelemente wie Stufenpläne und Ausgangsregelungen oder andere institutionalisierende und beschränkende Rahmenbedingungen kaum eingeschränkt. Im Gegenteil sind die – inländischen Betreuungs- oder Erziehungsstellen sehr ähnlichen – Auslandshilfen oft als hochgradig informell und entinstitutionalisiert zu bezeichnen. Eine wie auch immer geartete Geschlossenheit spielt im Alltag kaum eine Rolle und wird auch kaum thematisiert – ist für die Jugendlichen also kein alltägliches Leit(d)thema.

Komplexer wird die Betrachtung bei der Frage nach der Systemfunktion von Auslandshilfen. Haben Auslandshilfen eine Abschiebefunktion für Jugendliche, an denen die Jugendhilfe scheitert? Führt ihre Existenz damit zu einer vernachlässigenden Haltung im Vorfeld der Hilfen, ohne die eine Zuspitzung von Hilfebiographien schon vorher vermieden werden könnte – eine Frage übrigens, die sich für geschlossene Heimunterbringung noch drängender stellt? Sind sie also bequeme Endstationen und Abstellgleise des Systems, die schlechte Praxis im Vorfeld stabilisieren, weil sie sie erst akzeptabel machen? Generell lässt sich diese Frage kaum beantworten und bleibt auch hypothetisch: Wie würden sich die Hilfen zu Erziehung verändern, wenn es die vermeintlichen „Endstationen“ nicht gäbe? Würden sie sich qualifizieren und Hilfekarrieren nicht entstehen lassen? Würden sich andere „letzte Chancen“ entwickeln oder würde die ohnehin in diesem Bereich immer noch deutlich wahrnehmbare Hilflosigkeit zunehmen?

Auf Ebene der einzelnen untersuchten Hilfebiographien lässt sich eine abschiebende Funktion kaum nachzeichnen. Auch wenn sich die durch Scheitern geprägten Hilfebiographien der Jugendlichen retrospektiv (danach ist man bekanntlich immer schlauer) meist auch oder gerade auf Fehlentscheidungen und strukturelle wie prozessuale Schwächen der Jugendhilfe zurückführen lassen, nimmt die Auslandshilfe in aller Regel doch eine begründete und im positiven Sinne zukunfts- und hilfeorientierte Funktion ein. Beabsichtigt wird eine gelungene Reintegration in die deutsche Lebenswelt. Fälle, in denen vonseiten des Jugendamtes eine Abschiebung die maßgebliche Motivlage ausmachte, sind zwar bekannt, stellen aber die Ausnahme dar. Inwiefern sich die Karrieren gerade mit Blick auf die Möglichkeit einer Auslandshilfe durch nachlässige oder inadäquate Hilfen erst zuspitzen konnten, kann auch hier nicht beantwortet werden. Signaturen solcher Prozesse konnten nicht gefunden werden – und wie sollten sie auch aussehen? Die generelle Gefahr einer solchen Funktion liegt aber auf der Hand und sollte kritisch im Blick behalten werden (vgl. Wendelin 2011: 117 ff.).

 

Aktuelle Entwicklungen

Die Entwicklung seit 2010 kann sich hier nicht auf alle angesprochenen Konfliktfelder beziehen, sondern konzentriert sich auf die beiden Schwerpunkte der (1) administrativen Absicherung und (2) der damit verbundenen fachlichen Entwicklung. Zunächst ist anzumerken, dass es in einigen mitunter sehr häufig belegten Ländern in den letzten Jahren zu Verboten oder zur Aussetzung der Hilfen kam. Einige Gastländer, die den Hilfen nicht selten skeptisch gegenüberstehen, unterbanden die Betreuung oder schränkten sie erheblich ein (Portugal, Namibia, Island u. a.). Im Fall Kirgisien wurden während des dortigen Bürgerkrieges zahlreiche Hilfen ausgesetzt.**

Die Komplikationen in einigen EU-Ländern korrespondierten mit der Frage der Anwendbarkeit der Brüssel IIa-Verordnung. Nach Jahren der Unklarheit ist nun für die meisten EU-Länder geklärt, dass das Konsultationsverfahren auch im Falle von Auslandshilfen zur Anwendung kommen muss (Bundesamt für Justiz, Stand 2014)***. Einige Mitgliedstaaten, wie etwa Frankreich, verbinden mit dem Verfahren auch die notwendige Erteilung einer Erlaubnis bzw. Anerkennung der Betreuungsstellen durch inländische Fachbehörden. Gleichwohl gilt das Brüssel IIa-Verfahren in dieser Gründlichkeit nicht in allen Ländern und insbesondere im EU-Ausland (etwa Kirgisien) findet es keine Anwendung. In einigen EU-Ländern bestehen in der Umsetzung des Konsultationsverfahrens (noch) erhebliche Irritationen, wenn die Behörden des Gastlandes eine Erlaubnis etwa regelmäßig erst sehr spät oder gar nicht erteilen, die Träger und Jugendämter aber trotzdem die Unterbringung realisieren und sich dabei in die Illegalität bewegen.

Weiterhin ist zu beobachten, dass in einigen Jugendämtern die Sensibilität (u. a. durch Brüssel IIa und KICK) zunimmt und etwa auf die Fachkraftbetreuung stärker geachtet wird. Speziell an diesem Punkt gibt es Bemühungen der Träger, ihr nichtfachliches Personal nachzuschulen. In einigen Fällen passiert dies über grundständige Ausbildungen oder Studiengänge. Andere Träger schließen sich zusammen und konzipieren Fort- und Weiterbildungsprogramme. Inwieweit diese Programme eine grundständige fachliche Ausbildung im Sinne des SGB VIII ersetzen sollen und dann auch können (!), bleibt kritisch zu beobachten.

Es kann also von einer leichten positiven Stabilisierung im Bereich der Auslandshilfen ausgegangen werden. Die Häufigkeit und Intensität von berichteten Krisenfällen hat in den letzten Jahren folglich leicht abgenommen. Der Umgang mit – bei dieser Klientel erwartbaren – Krisen und Komplikationen wird offenbar strukturierter und professioneller.

 

Ausblick

Letztlich darf bei diesen partiell positiven Entwicklungen aber nicht übersehen werden, dass sie überwiegend nicht aus fachlichem Eigeninteresse erfolgten oder intrinsisch durch die Träger bzw. Jugendämter motiviert waren (einige Träger/Jugendämter sind hier auszunehmen), sondern eher auf erheblichen politisch-gesetzgeberischen (KICK), fachlichen/fachpolitischen und öffentlichen Druck sowie auf deutliche Interventionen mancher Gastländer zurückzuführen sind. Im Gegenteil wurden einige Weiterentwicklungen (Brüssel IIa,  Fachkräftegebot) von einigen Trägern und Trägerverbänden vehement bekämpft (vgl. Wendelin 2011: 48 ff.). Weiterhin gibt es auch noch immer Jugendämter, die die Vorgaben des KICK nicht konsequent umsetzen (etwa bei der Fachkraftprüfung) und die Brüssel IIa-Verordnung gilt zwar für die meisten EU-Staaten, jedoch nicht alle verbinden damit auch eine fachliche Überprüfung der Hilfen. Betreuungen außerhalb der EU entziehen sich diesem Verfahren vollkommen und eben diese Betreuungen sind es, die m.E. einer besonders kritischen Aufmerksamkeit bedürfen. Von einer weiteren eigenmotivierten flächendeckenden Qualitätsentwicklung kann also nicht ohne Weiteres ausgegangen werden. Bei vielen der oben genannten fachlichen Problemkreise ist von einer signifikanten Verbesserung kaum auszugehen.

Dabei wäre eine solche positive und konsequente Entwicklung und Konsolidierung gerade im Kontext der innerdeutschen Erziehungshilfediskurse ausgesprochen begrüßenswert. Wenn Auslandshilfen – und daran gibt es meines Wissens nach kaum fachlichen Zweifel – prinzipiell sinnvoll sind, dann sollten sie gerade in Zeiten, in denen einerseits die geschlossene Unterbringung ausgebaut wird und gerade deshalb andererseits wieder vermehrt nach Alternativen gesucht werden muss, sich auch als solch fachlich ernstzunehmende und vor allem verlässliche und stabile Alternative deutlicher positionieren. Mindestens ein Drittel der Hilfen fungieren explizit als Alternativen zu freiheitentziehenden Maßnahmen (Wendelin 2011: 152).

Eine Branche, die sich aber (mit Ausnahmen) nur auf erheblichen äußeren Druck bewegt und dabei auch nur Minimalforderungen erfüllt, kann dies kaum schaffen. Träger, die sich jenseits und ggf. auch entgegen monetärer Interessen fachlich weiterentwickeln, und Jugendämter, die sich ihrer erheblichen Verantwortung bewusst sind und diese auch wahrnehmen, sind im Bereich der Auslandshilfen leider immer noch keine Selbstverständlichkeit.

 

Fußnoten

* Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung (genannt Brüssel IIa).

** Beeindruckend und gleichermaßen erschreckend hierbei war die Hartnäckigkeit, mit der einige Träger und Jugendämter trotz Bürgerkrieg und deutlichem Druck durch Auswärtigem Amt (u. a. Reisewarnung), BMFSFJ und LJAs an dem Verbleib der Jugendlichen im Land festhielten.

*** Detaillierte Länderinformationen unter https://www.bundesjustizamt.de/DE/Themen/Buergerdienste/HKUE/Unterbringung/Unterbringung.html, Stand 26.01.2014.

 

 

Literatur

  • Bundesamt für Justiz (2013): Merkblatt Grenzüberschreitende Unterbringung von Kindern Unterbringung von Kindern im Ausland durch deutsche Gerichte und Behörden (https://www.bundesjustizamt.de/DE/SharedDocs/Publikationen/HKUE/Merkblatt_ Unterbringung_Ausland.pdf? blob=publicationFile&v=5, Zugriff am 26.01.2014).
  • Hoops, S./Permien, H. (2006): „Mildere Maßnahmen sind nicht möglich!“ Freiheitsentziehende Maßnahmen nach § 1631b BGB in Jugendhilfe und Jugendpsychiatrie. Projektbericht. Herausgegeben vom Deutsches Jugendinstitut. München.
  • Statistisches Bundesamt (2011): Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe. Erzieherische Hilfe, Eingliederungshilfe für seelisch behinderte junge Menschen, Hilfe für junge Volljährige – Einzelhilfen (https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/ Soziales/KinderJugendhilfe/ErzieherischeHilfeInsgesamt5225114117004.pdf?__ blob=publicationFile, Zugriff am 26.01.2014).
  • Klawe, W./Bräuer, W. (1998): Erlebnispädagogik zwischen Alltag und Alaska. Praxis und Perspektiven der Erlebnispädagogik in den Hilfen zur Erziehung. Weinheim/München.
  • Klein, J./Arnold, J./Macsenaere, M. (2011): InHAus: Individualpädagogische Hilfen im Ausland: Evaluation, Effektivität, Effizienz. Freiburg.
  • Wendelin, H./Pforte, S. (2007): Intensivpädagogische Auslandsmaßnahmen in den Hilfen zur Erziehung. Ergebnisse einer Jugendamtsbefragung. In: Das Jugendamt, Heft 4/2007.
  • Wendelin, H. (2011): Erziehungshilfen im Ausland – Konzeptionen Strukturen und die Praxis von intensivpädagogischen Auslandshilfen. Weinheim/Basel.
  • Wendelin, H. (2013): Erziehungshilfe im deutsch-belgischen Grenzgebiet – Ein explorativer „Werkstattbericht“. In: Sozialmagazin, Heft 9–10.
  • Witte, M. (2009): Jugendliche in intensivpädagogischen Auslandsprojekten. Baltmannsweiler.
  • Witte, M. D. (2010): Freiheit, Zwang und Kindeswohl. Zur immanenten Widersprüchlichkeit in der Erziehungshilfe im Ausland. In: RdJB – Recht der Jugend und des Bildungswesens. Zeitschrift für Schule, Berufsbildung und Jugenderziehung, 58. Jg./Heft 3, S. 372–386.