Empowerment

aus: Kritisches Glossar Hilfen zur Erziehung. Düring, Diana et al. (Hrsg.) (2014)
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Empowerment ist zunächst ein deskriptiver, politisch-analytischer Begriff, der im Nachhinein jene Gruppenprozesse bezeichnet, die Menschen aufgrund ihrer Selbsttätigkeit in die Lage versetzen, Verantwortung, Bestimmung und Durchsetzungskraft eigener Interessen zur Geltung zu bringen, ohne dass eine gezielte professionelle Einmischung vorkommt. Beispiele der ersten Stunde dafür sind die Emanzipationskämpfe afroamerikanischer Gruppen in den USA in den 1960ern und 70ern (vgl. Solomon 1976), die die von weißen Regierungsverantwortlichen zaghaft begonnenen „war on poverty“-Aktivitäten auch tatsächlich einfordern wollten, unterschiedliche soziale Bewegungen in den USA und in Westeuropa im Bereich Feminismus, kommunitärer Selbstorganisation, Selbstvertretungsbemühungen Psychiatriebetroffener, etwa in der „Antipsychiatriebewegung“ und ihrem auf Pädagogik bezogenen Pendant in der „Antipädagogik“, ebenso die „People First“-Bewegung, um nur einige zu nennen. Gemeinsamer Kern war bzw. ist Aktivismus auch in Form zivilen Ungehorsams als Ausdruck einer Selbstbemächtigungsbewegung von Gruppen gegen staatliche Bevormundung und gesellschaftliche Diskriminierung. Wie an anderer Stelle ausgeführt (vgl. Bakic 2013), bezieht sich Empowerment auf jene Faktoren, die die vormals Schwachen, Machtlosen in eine stärkere, mächtigere Position in Form von Vergemeinschaftungsprozessen bringen sollen, meint also eine spezifische Ausgestaltung von sozialen Bewegungen, mit Ulrich Bröckling gesprochen ein Gegenhandeln auf politischer Ebene, in Form des Bestrebens der „Havenots“, der Ohnmächtigen, in Machtverhältnissen sich selbst Macht zu verschaffen (vgl. 2004: 57). Dabei kommt es in der Folge zu einer normativen Inanspruchnahme von Empowerment in Form einer aktiven Lernförderung von solidarischen Formen der Selbstorganisation. Aus der kollektiven Beanspruchung von Gruppenrechten wird eine subjektivierte Form der Ermächtigungssuche. So versteht etwa Heiner Keupp in einer psychosozialen Perspektive darunter keinen politisch abstinenten, analytischen Begriff mehr, sondern einen notwendigen Konzepttransfer aus der US-amerikanischen Gemeindepsychologie und Sozialpädagogik in die deutschsprachige Diskussion, damit das Subjekt in modernen Veränderungsdynamiken zum „Baumeister des Sozialen“ befähigt werden solle (2011: 244).

Die Transformation in der Begriffsverwendung geht aber über mehrere Stationen, so wird auch die Grundidee aus der Gemeindepsychologie programmatisch weiterentwickelt, da nun aktives Befähigungshandeln als Charakteristikum für Empowerment eingeführt wird. Menschen soll beigebracht werden, ihre Wege selbst zu wählen, somit sollen noch brachliegende Potenziale in der autonomen Lebensführung und der aktiven gesellschaftlichen Teilhabe erschlossen bzw. aufgeschlossen werden. Anders als bei Julian Rappaports sensiblerem Zugang, Angebote in Form eines Appetizers zu machen (Rappaport 1984: 5), erfolgen nun direktere Handlungsanleitungen für professionelles Eingreifen, um „gelernte Hilflosigkeit“ bzw. „Demoralisierung“ zu überwinden (vgl. Keupp 2011: 244).

Die 1980er und 1990er stehen dann für Programme, die Menschen in allgemeinen Lebenszusammenhängen „empowern“ sollen. Fortbildungen im Rahmen von Organisationsentwicklungsprozessen sollen die Fähigkeiten von Mitarbeiter_innen und Bewohner_innen, Kund_innen und Konsument_innen im Sinne von Selbstbemächtigungsund somit anzustrebenden Qualitätssteigerungsprozessen stärken. Empowermentzirkel sind fixer Bestandteil der nun lernenden Organisation, Empowerment wird zum Orientierungsprinzip institutioneller Leitbilder. Seit den 2000ern ist der Empowermentdiskurs nun auch Bestandteil von Konzeptionen der Strategien lebenslangen Lernens und wird zunehmend zum strategischen Neusprechwort aller Akteur_innen auf allen Ebenen von international bis regional (vgl. Bakic 2013).

Dabei erfährt Empowerment eine Aufladung, die gewissermaßen die grundsätzliche Haltungsfrage Sozialer Arbeit neu definiert. Bei Mike Seckingers Zusammenschau im Handbuch Soziale Arbeit liegt die Grundannahme des Empowerments darin, dass ungleiche Machtverteilung menschliches Leid und gesellschaftliche Probleme wesentlich produziert und psychosoziale Arbeit dieses Verhältnis verändern müsse. Bezeichnend für ihn ist der enge Zusammenhang zwischen Individuum, sozialer Gruppe und Gesellschaft (2011: 313), den er in allen maßgeblichen Konzeptionen zum Empowerment wiederfindet. Mit Bezug auf Lenz und Stark fasst er diese Konzepte als Verknüpfung sozialer Aktion Einzelner und von Kollektiven mit einer professionellen Haltung, „die sich konsequent den individuellen und kollektiven Ressourcen der Menschen zuwendet. Gleichzeitig werden drei Handlungsebenen miteinander verknüpft, die sonst meist getrennt behandelt werden: Individuum – soziales Netz – Organisation“ (Lenz/Stark 2002: 7 in: Seckinger 2011: 313). Seckinger ist sich hier bewusst, dass die Definition unscharf bleibt, weil er es als ein postmodernes Konzept fasst, dessen Konkretisierung nur in der Aushandlung der am Prozess Beteiligten geschehen könne (ebd.). Gleichwohl könnte hier erweiternd festgehalten werden, dass bei dieser freizügigen Definition Unterschiede zwischen Sozialer Arbeit per se und Empowerment kaum mehr ausmachbar zu sein scheinen, also: Empowerment = Soziale Arbeit?

In Folge erfährt der einst aus der politischen Analyse gewonnene Begriff ein weiteres „Upgrading“: „Wesentliche Impulse für die Entwicklung der Empowermenttheorie kommen aus der Pädagogik der Unterdrückten (Freire 1987), der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, dem Feminismus und der Selbsthilfebewegung.“ (Seckinger 2011: 314) Zu den bereits angeführten sozialen Bewegungen kommt nun in prominenter Weise Freires Konzept hinzu.

Interessant ist hier, dass bei Freire zwar Entwürfe zur Selbstbehauptung und Gegenentwürfe zur sog. „Bankiersmethode“ – also seiner Sicht traditionellen Unterrichts, wonach passive Schüler_innen lediglich mit Wissen als Spareinlage befüllt werden – für die Gestaltung von Lernprozessen skizziert werden, Empowerment meines Wissens nach so aber nicht genannt wird. Noch interessanter erscheint aber, dass durch diese Transformation Empowerment selbst zur Theorie stilisiert wird. So wird Empowerment auch zu einem neuen Leitkonzept Sozialer Arbeit.

Norbert Herriger (2010) begreift Empowerment als Handlungskonzept, über das Soziale Arbeit verfügt, mit dem sie zur Selbstbestimmung über die eigenen Lebensumstände anstiften könne. In seiner Empowermenteinführung für Soziale Arbeit spannt er methodisch einen Bogen, der vom Anwendungsfall Einzelhilfe, in dem mittels einer „Konstruktion lebbarer Lebenszukünfte“ empowert wird, über das „Stiften von Zusammenhängen“ und das „Kitten von Beziehungsrissen“ in der Gruppenarbeit bzw. Netzwerkarbeit bis hin zu klimafördernden Raumeröffnungen und „Empowermentzirkeln“ in der Organisations- und Regionalentwicklung reicht und auch den Umgang mit gering motivierten Klient_innen aufzeigt. Diese Zugänge verkörpern gewissermaßen eine Mainstreamposition der in der Fachdiskussion stehenden methodischen Anforderungspalette, um kontrastierende Lernerfahrungen zu ermöglichen. Für diese Fassung als multidimensionaler Ansatz hat auch Seckinger Ordnungskriterien zusammengefasst: die konsequente Orientierung an den Ressourcen der Adressat_innen, Netzwerkarbeit, die Thematisierung von Widersprüchlichkeiten, das Beziehen von Individuum auf Gesellschaft und die Beteiligungsanregung (vgl. Seckinger 2011: 315). In der Folge gibt es weitere, mehr oder weniger originelle Ideen, für eine richtige Empowermentanleitung, die von Ausbau des Sozialkapitals bis hin zu systematischer Partizipationsförderung reichen – Erfolg, Einfluss und Alternative sind vielgenannte Zielkeywords.

Im professionellen Arbeitsverständnis Sozialer Arbeit verheißt dies einige heilsversprechende Ziele: „Fachkräfte sind gefordert, sich als Moderator und Katalysator von Prozessen der Selbstbemächtigung zu verstehen und nicht als Experten, die eine passende Lösung anbieten können.“ (ebd.: 316) Damit soll auch die professionelle Hilflosigkeit überwunden werden, denn durch den nun erfolgten Akt der Koproduktion liege die Verantwortung für Erfolg und Misserfolg nicht direkt bei der Sozialarbeiter_in, somit gerate auch das politische Mandat Sozialer Arbeit wieder mehr in den Vordergrund, weil Betroffene und professionelle Begleiter_innen gemeinsam Konzepte entwickeln und Exklusionsprozesse auf allen Ebenen bekämpfen.

Seit fünf Jahrzehnten wird also mit unterschiedlichen Konzeptionalisierungen um eine Definitions- bzw. Deutungshoheit bezüglich des Begriffs Empowerment gerungen, wohl auch deswegen, weil eine große Sehnsucht danach bestehen dürfte, Selbstbehauptung, Entfesselung, Befreiung und dergleichen mehr methodisch anleiten zu können. In der Diskussion wird zwar stellenweise auf kritische Einwände gegen die sozialpädagogisierte Herstellungslogik politischer Aushandlungsprozesse hingewiesen. Diese werden aber, so scheint es, aufgrund der Attraktivität des Begriffs und der verheißungsvollen Ziele, die in dem nun zum Ermächtigungsprogramm transformierten Empowermentkonzept liegen, schnell abgetan. Dies kann womöglich fatale Folgen haben: Die methodische Instrumentalisierung von Empowerment ersetzt gleichzeitig ursprünglich als pädagogische Interventionsformen gefasste Zugänge und dient wohl der spätestens seit den reformpädagogischen Bewegungen am Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts skizzierten und bereits erwähnten Sehnsucht der Herstellung von herrschafts- und machtfreien Zuständen durch symmetrische, basisdemokratisch legitimierte und einer vermeintlichen Natürlichkeit entspringenden Verhältnisse – weil das Gute nur den nötigen Freiraum brauche, um zu sich und zu uns zu kommen. Dabei wird vergessen, dass ein seriöses Professionalitätsverständnis dazu verpflichtet, die Frage nach der Beziehungsasymmetrie, die Frage der Macht- und Auftragsbestimmung, ja die Frage des pädagogischen Verhältnisses überhaupt reflexiv und transparent zu stellen und dafür gerade zu vermeiden, sich in den unscheinbaren Hintergrund zu definieren, die Aktivität und das Wollen bloß jenen zuzuschreiben, die müssen/wollen sollen.

Tragisch dabei ist, dass die Verantwortungsfrage mit den aktuellen Empowermentstrategien eher neoliberal entledigt wird, dass also die sehnsüchtige Hoffnung auf eine neue solidarische Sozialarchitektur damit nicht eingelöst werden kann, vielmehr die Förderung von einseitiger Aktivierung und, in der sozialarbeiterischen Methodisierung, die Individualisierung der Problemzuständigkeit herbeigeführt bzw. verstärkt werden. Es ist wohl immer noch mit den Argumenten des Sozialmediziners Trojan wie bereits 20 Jahre zuvor die Frage zu stellen, ob nicht mit Empowerment ein vorschnell positives Menschenbild verknüpft werde, das zunächst fraglos normativ davon ausgeht, dass jeder Mensch zu Selbsthilfe und Durchsetzungskraft befähigt werden könne. Trojan befürchtet in seiner Analyse zu Recht ein illusionäres Harmoniemodell von sozialem Wandel, wonach freundliche Machthabende etwas von ihrer Macht abgeben und dieser Umverteilungsprozess friedlich vonstattengehen könne. Entscheidend wie bei allen institutionalisierten Lösungen sind wohl gerade auch jene Normierungsfragen, die den Rahmen aufspannen, wer „Power“ für welche Bedürfnisse, Ziele und Zwecke bekommen soll (vgl. Trojan 1993: 60).

Fachliche Rückmeldung an Strukturverantwortliche ist eine konkrete Aufgabe Sozialer Arbeit, eine professionsbedingte „Streitposition“, dass also Sozialpädagog_innen und Sozialarbeiter_innen mitunter komplizierte „Untergebene“ innerhalb einer Einrichtung sind, kann schon zur Aufrechterhaltung der professionellen Fachunabhängigkeit erforderlich sein. Dieser „Rebellionsstatus im professionellen Sinne“ meint aber nicht unbestimmte Allpassfähigkeit, wie sie in Empowermentkonzepten vermittelt wird. In diesem Sinne wäre fachliche Selbstbehauptung zu trennen von der Selbstbehauptung sozialer Bewegungen, weil sonst die Gefahr besteht, ob der begrifflichen konzeptionellen Unschärfe rund um den analytischen Begriff Empowerment vor allem neue Normierungsverfahren zu bedienen und damit eben eher neoliberalistische Interpretationen zu stärken, die in ihrer Aktivierungslogik darauf hinauslaufen, dass jede_r allein seines/ihres Glückes Schmied wäre.

Menschen individuell und strukturell zu unterstützen, bestmögliche Lebensbedingungen und Entwicklungschancen zu erringen und zu nutzen, ist eine vordringliche Aufgabe Sozialer Arbeit auch und gerade in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Wo zu exklusive oder kontingentierte strukturelle Bedingungen den Zugang oder Verbleib Jugendlicher verunmöglichen oder überfordernd schwierig gestalten – seien es Ausbildungs-/Bildungssysteme, Arbeits- oder Wohnungsmarkt –, hilft es nichts, den Jugendlichen in Kompetenztrainings mehr individuelle Leistungsfähigkeit beibringen zu wollen. Wenn ausgegrenzte Jugendliche oder junge Erwachsene sich selbst behaupten, gegen Strukturmängel aktiv werden und damit womöglich auch der Sozialen Arbeit ihre Grenzen aufzeigen, diese also – zunächst – nicht akzeptieren und ein sog. Non- compliance-Verhalten zeigen, ist dies professionell zu bewältigen und dort als Empowermentprozess zu verstehen, wo es um Selbstbehauptung geht. Der Versuch, dies in fremdbestimmte Anleitung und Unterstützung zu verwandeln, ist aus kritisch-fachlicher Sicht eine kaum zu legitimierende Steuerungsfantasie. Empowerment hingegen als analytische Kategorie nutzbar zu machen, die ein breites Verständnis in Bezug auf unterschiedliches Bewältigungshandeln ermöglicht, kann ein Gewinn für das Denken Sozialer Arbeit sein, insbesondere wenn auch die Nachteile dieser scheinbar eindeutigen Etikettierungen von Phänomenen individueller und gruppenbezogener Widerständigkeit in ihrer ursprünglichen Fassung thematisiert werden würden.

Empowerment als strategischen Interventionsansatz in Form von Coaching- oder Lernangeboten aufzufassen, ist durch den Versuch charakterisiert, die Bewältigung von Benachteiligungsfaktoren und Ausschließungsprozessen vordergründig den Betroffenen zuzuschreiben und professionell sich auf die Rolle des wohlwollenden, begleitenden Ermöglichungspart zurückziehen zu können. Soziale Arbeit mit einem aktivierenden, programmatischen Empowermentverständnis ist somit fatalerweise Erfüllungsgehilfe aktueller Selbsttechnologisierung.

 

Literatur

  • Bakic, J. (2013): Resilienz und Empowerment. In: Bakic, J./Diebäcker, M./Hammer,
  • E. (Hg.): Aktuelle Leitbegriffe der Sozialen Arbeit. Ein kritisches Handbuch. Band 2. Wien, S. 174–190.
  • Bröckling, U. (2004): Empowerment. In: Bröckling, U./Krasmann, S./Lemke, T. (Hg.): Glossar der Gegenwart. Frankfurt a. M., S. 55–62.
  • Herriger, N. (2010): Empowerment in der Sozialen Arbeit. Eine Einführung. 4., erweiterte und aktualisierte Auflage. Stuttgart.
  • Keupp, H. (2008): Empowerment. In: Kreft, D./Mielenz, I. (Hg.): Wörterbuch Soziale Arbeit. 6. Auflage. Weinheim/München, S. 244–246.
  • Lenz, A./Stark, W. (Hg.) (2002): Empowerment. Neue Perspektiven für psychosoziale Praxis und Organisation. Tübingen, S. 13–53.
  • Rappaport, J. (1984): Studies in Empowerment: Introduction to the Issue. In: Rappaport, J./Swift, C./Hess, R. (Eds.): Studies in Empowerment. Steps Towards Understanding and Action. New York, pp. 1–9.
  • Seckinger, M. (2011): Empowerment. In: Otto, H.-U./Thiersch, H. (Hg.): Handbuch Soziale Arbeit. 4. Auflage. München, S. 313–319.
  • Solomon, B. (1976): Black Empowerment. Social Work in Oppressed Communities. New York.
  • Trojan, A. (1993): Ohnmacht kränkt, Empowerment wirkt gesundheitsfördernd – Zur Stärkung der Durchsetzungsfähigkeit von einzelnen und in Gruppen. In: Blätter der Wohlfahrtspflege. Deutsche Zeitschrift für Sozialarbeit, Heft 2, S. 58–61.

 

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