Managerialisierung
aus: Kritisches Glossar Hilfen zur Erziehung. Düring, Diana et al. (Hrsg.) (2014)
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Der Begriff Managerialisierung kennzeichnet einen Prozess des sozialen und gesellschaftlichen Wandels. Er impliziert eine zunehmende Bedeutung des Managements in Sozialen Diensten, Sozialverwaltungen und Verbänden Sozialer Arbeit. Managerialisierung kann dabei nicht nur auf die Ebene des betrieblichen (operativen, strategischen und normativen) Managements (vgl. Grunwald/Maelicke 2013) bezogen sein, sondern auch auf das Verhältnis von Professionellen und KlientInnen: Die zunehmende Bedeutung von Methoden des Fall- und Casemanagements (vgl. Neuffer 2013), des Familienaktivierungsmanagements (vgl. Kutscher/Richter 2011) und der wirkungsorientierten Fallsteuerung (vgl. Polutta 2014) zielt auf eine bestimmte Professionalität, die Fachkräfte Sozialer Arbeit als ManagerInnen von Hilfe-, Beratungs- und Bildungsprozessen konzeptualisiert. Zudem wird auf der Ebene von Individuen, im Sinne von Selbstmanagement, Aktivierung und Eigenverantwortung, eine Entwicklung sozialpolitisch wie sozialpädagogisch gefördert, die BürgerInnen als ManagerInnen ihrer Lebensführung in den Mittelpunkt stellt (vgl. Kessl 2005). Transformationsprozesse der Managerialisierung betreffen also – in unterschiedlichen Erscheinungsformen – sowohl die Ebenen von Sozialpolitik als auch von Organisation, Profession und AdressatInnen Sozialer Arbeit.
Managerialisierung kann durchaus als analytischer Begriff zur Beschreibung und Untersuchung sozialer und gesellschaftlicher Verhältnisse verstanden werden, die Begriffsverwendung ist jedoch nicht durchweg „neutral“. Denn oftmals wird mit Managerialisierung nicht nur deskriptiv auf einen Wandel verwiesen, sondern zugleich Kritik daran markiert (vgl. Messmer/Schnurr 2013). So ist auffällig, dass in Managementkonzepten in der Sozialen Arbeit, wie etwa in Entwürfen des Sozialmanagements in Sozialen Diensten, wirkungsorientierter Steuerung in der Kinder- und Jugendhilfe oder zum Case Management, der Begriff des Managements (und nicht der Managerialisierung) verwandt wird. Demgegenüber beinhaltet die Kategorie des Managerialismus bereits eine bestimmte Deutung, die sich auf einen Strukturwandel in Sozialen Diensten und eine bestimmte Form der Wohlfahrtsproduktion bezieht und sich vom Professionalismus unterscheidet (vgl. Beckmann/Maar/Schrödter 2011). Insofern steht Managerialisierung auch für einen im Diskurs kritisch verwendeten Gegenbegriff, etwa als Abgrenzung von Verständnissen reflexiver Professionalisierung (Dewe/Otto 2011) oder alltags- und lebensweltorientierter Kinder- und Jugendhilfe (Grunwald/Thiersch 2011).
Aspekte von Managerialisierung im Feld erzieherischer Hilfen
In den deutschsprachigen Raum wurde der Begriff der Managerialisierung aus der US-amerikanischen und britischen sozialwissenschaftlichen Literatur importiert. Die Bezeichnung Managerialismus im Kontext (wohlfahrts-)staatlicher Arrangements prägte Christopher Pollitt (1990) in Analysen zum Management und Organisation Sozialer Dienstleistungsproduktion (Public Services). Mit ihren Arbeiten zur Wohlfahrtsreform im Großbritannien haben John Clarke und Janet Newman unter dem Stichwort des „Managerial State“ (ebd.: 1997) den Begriff genutzt. Diese Autoren sprechen insofern von einem neuen Managerialismus in Sozialen Diensten und in der Sozialgesetzgebung, als dass ein übergeordnetes Muster vieler Reformen darin bestehe, ökonomische Prinzipien auf zuvor markt- und wettbewerbsfern verstandene Bereiche anzuwenden. Stefan Schnurr und Heinz Messmer heben die zentrale Annahme des Managerialismus heraus, wonach betriebswirtschaftliche Steuerungsmodelle am besten in der Lage seien, als intransparent und ineffizient angesehene sozialstaatliche Organisationsformen hinsichtlich der Kosten, der Qualität und auch des Kundennutzens zu verbessern (vgl. ebd.: 2013).
Sozialmanagement und New Public Management setzten in der Kinder- und Jugendhilfe in den vergangenen zwei Jahrzehnten maßgebliche Veränderungsprozesse in Gang. Bei öffentlichen Trägern der Jugendhilfe wurde mit Konzepten der Neuen Steuerung in Deutschland nach anglo-amerikanischem Vorbild die Entwicklung des New Public Management aufgegriffen und führte zu einer betriebswirtschaftlichen Verwaltungsmodernisierung. Jörg Bogumil und Stefan Grohs (2011) stellen als Gemeinsamkeit heraus: „Leistungen sollen hinsichtlich Qualität, Effektivität und Kosten transparent und vergleichbar gemacht werden und somit einer Outputsteuerung zugänglich gemacht werden.“ (ebd.: 306) In diesem Zuge zielte die Reform öffentlicher Verwaltung (vgl. KGST 1993, Reichard/Wollmann 1996) auf die Ablösung zentralistischer Organisation zu Gunsten dezentraler Fach- und Finanzverantwortung, auf Alternativen zur Kameralistik (Inputsteuerung) zu Gunsten einer Produkt- und Bilanzorientierung (Outputsteuerung) und der Definition (teils auch der Ausgliederung) von Geschäftsbereichen ab. Dabei wurden sowohl interne wettbewerbliche Strukturen in Form von Benchmarks und inter-kommunalen Kennzahl-Vergleichen forciert als auch externe wettbewerbliche Steuerung über Ausschreibungen, Trägervergleiche oder Budgetsteuerung. Parallel dazu ist bei freien Trägern der Jugendhilfe die Einführung von Instrumenten und Verfahren bedeutsam geworden, die Klaus Grunwald und Bernd Maelicke (2013) als Sozialmanagement beschreiben. Sozialmanagement zielt den Autoren zufolge sowohl auf die Führung und Leitung von Trägern und die Formulierung von Werten und Leitbildern (normatives Management) sowie auf die Verfolgung von Zielen; Entscheidungen des Personalmanagements und des Qualitätsmanagements (strategisches Management) sowie auf die Steuerung von Abläufen im Rahmen des operativen Managements.
Öffentliche Verwaltung – mit dem Leitmotiv „von der Behörde zum Dienstleistungsunternehmen“ (Dahme/Schütter/Wohlfahrt 2008: 59) – wie auch freie Träger haben sich im Zuge dieser Entwicklungen zunehmend als unternehmerische Akteure präsentiert, unabhängig von der Rechtsform als öffentlich-rechtliche, als frei-gemeinnützige wie auch privatwirtschaftliche Organisationen. Nicht zuletzt wurden diese Entwicklungen durch sozialrechtliche Reformen flankiert, wie die für die Hilfen zur Erziehung seit 1998 verpflichtenden Leistungs-, Entgelt- und Qualitätsentwicklungsvereinbarungen nach §§ 78a–g SGB VIII. Diese gesetzliche Vorgabe macht einen prospektiven Kontrakt zwischen Leistungsträger und Leistungserbringer zur Voraussetzung für individuelle Hilfeprozesse. Dass heute in Deutschland Hilfen zur Erziehung nach Fachleistungsstunden, Tagessätzen, Fallbudgets und in Zusatzleistungen sowie mancherorts Bonuszahlungen vergütet werden, ist eine ganz konkrete Folge der Einführung jener Kontrakte, ebenso wie die Notwendigkeit, Formen der Qualitätsentwicklung in den Hilfen zur Erziehung auszuweisen. Letzteres bedeutet i. d. R., dass ein organisationsinternes oder trägerübergreifendes Qualitätsmanagement notwendig wird, sei es in Form einer Orientierung an Zertifizierungsprozessen nach EFQM oder ISO-Norm, Evaluationsverfahren, Audits oder anderen trägerspezifischen Verfahren zur Entwicklung von Qualität (vgl. Merchel 2009). In den vergangenen zehn Jahren, gefördert durch Expertisen, Konzeptentwürfe und ein Modellprogramm des Bundesministeriums für Frauen, Senioren, Familie und Jugend ( BMFSFJ ), werden über Kontraktsteuerung nach den §§ 78a–g SGB VIII verstärkt wettbewerbliche Elemente, neue Finanzierungsformen und Instrumente des strategischen Managements in erzieherische Hilfen implementiert (vgl. Albus et al. 2010).
In Bezug auf Leistungsberechtigte und Leistungsempfänger erzieherischer Hilfen sind weitere Dimensionen einer Managerialisierung zu identifizieren: Im Umgang mit jungen Menschen oder Eltern, bspw. im ASD /KSD des Jugendamtes, wird zunehmend von Fallsteuerung gesprochen und damit eine Orientierung an Methoden des Case Managements (vgl. Neuffer 2013) relevant. Diese Form des Managements von Fällen kann – je nach fachlichem und konzeptionellem Verständnis von Case Management – sehr unterschiedliche Formen haben. Folgt man Eckhard Hansen (2006), so bestehen Kernelemente des Case Managements in der Segmentierung verschiedener Handlungsschritte in Information, Assessment, Erstellen von Leistungs-(Hilfe-)Plänen, Organisation von Hilfen, Controlling und Evaluation. Wenngleich die konzeptionellen Grundlagen des Case Management eine Reduktion auf eine bloße Fallsteuerung verbieten und methodisch auch auf fachliche Qualität, mithin auf advokatorische Funktionen im Sinne der Rechte und Bedarfe der Bürger ausgerichtet sind, so besteht Hansen zufolge doch die Gefahr einer „ökonomistischen Auslegung“ (ebd.: 29). In der Praxis der Hilfen zur Erziehung ist durch Heike Greschke, Birte Klingler und Heinz Messmer (2010) empirisch herausgearbeitet worden, dass sich in aktuellen Fallsteuerungsprozessen die Logik einer pädagogischen Zielformulierung und -bearbeitung und die Logik einer Zielüberprüfung im Dienste des Controllings in Hilfeplangesprächen widersprüchlich gegenüberstehen. Parallel dazu wird in solchen Hilfeprozessen konzeptionell nicht selten an die Eigenverantwortung von Eltern bzw. jungen Menschen appelliert (vgl. Polutta 2014), was in der Konsequenz dazu führen kann, dass das „Management der Zielerreichung“ die Gefahr birgt, die Verantwortung auf AdressatInnen zu übertragen – oder subtiler: die Tendenz birgt, dass AdressatInnen selbst dafür die Verantwortung übernehmen (vgl. zum Zusammenhang von Ökonomisierung und Aktivierung Kessl 2005). Wenn KlientInnen Sozialer Arbeit in Präventions-, Beratungs- und Hilfeprozessen Ziel solcher aktivierenden Adressierung werden, wird das Verhältnis von professioneller und öffentlich verantworteter Hilfe (mit sozialstaatlich abgesicherten Rechtsansprüchen) und Dimensionen der Selbstsorge in privater Verantwortung (als Verpflichtung zum „Selbstmanagement“) neu justiert.
Managerialisierung als Forschungsperspektive in den Erziehungshilfen
Wie beschrieben, ist Managerialisierung nicht nur ein deskriptiver, sondern ein kritischer Begriff und in seiner sozialwissenschaftlichen Verwendung wird er für empirische Analysen in der Jugendhilfeforschung genutzt: Konkret untersuchten etwa Christoph Beckmann, Katja Maar und Mark Schödter das Beispiel der „Managerialisierung der sozialpädagogischen Familienhilfe“ (ebd.: 2011). Ausgehend von der zunehmenden Bedeutung des Qualitätsmanagements in der SPFH , untersuchten die AutorInnen die These, dass damit „restringierende Arbeitsbedingungen“ (ebd.: 81) für SozialarbeiterInnen einhergehen. Weil Managerialisierung theoretisch als Gegenbewegung zum Vertrauen in professionelle Entscheidungen und professionelle Organisationsformen rekonstruiert werden kann, konstatieren die ForscherInnen seit den 1990er-Jahren „eine sowohl rhetorische als auch praktische Delegitimierung professionellen Handelns“ (Beckmann/Maar/Schrödter 2011: 77). Managerialisierung fassen die AutorInnen als Prozess, der idealtypisch die Bindung von SozialarbeiterInnen an formal-organisationale Strukturen und bürokratische Abläufe (z. B. nach Vorgaben eines Qualitätsmanagement-Handbuchs) stärkt und die Bindung an die Profession, z. B. an kollegiale Kontrolle und eigene sozialwissenschaftliche, ethische Maßstäbe, schwächt. Dieser Analyse steht die empirische Erkenntnis gegenüber, dass sich in der Praxis unter dem Einfluss von Managerialisierungsprozessen durchaus verschiedene Organisationstypen herausgebildet haben: Solche, in denen Professionelle vereinzelt (atomisiert) arbeiten, solche, in denen sie formalen Schemata folgen (in der Studie sog. „Maschinenbürokratie“), und solche, in denen eine kollegiale Organisationsform handlungsleitend ist (vgl. ebd.). Es kann als Erkenntnis der Studie herausgehoben werden, dass Managerialisierung differenzierter zu verstehen ist: So kann Qualitätsmanagement unter Bedingungen kollegialer Organisationsformen offenbar zur inhaltlichen Klärung von Qualitätsfragen führen, während in anderen Organisationen trotz (oder wegen der unkritischen) Orientierung auf formale Standards eine inhaltliche Bestimmung von Qualität in der SPFH gar nicht erfolgt. Schnurr und Messmer, die zu vergleichbaren Entwicklungen in den Erziehungshilfen geforscht haben, kommen sogar zum Schluss, dass sich in Einrichtungen der Jugendhilfe „widersprüchliche Rationalitätsprinzipien“ (ebd.: 640) finden: „Während betriebswirtschaftliche Orientierungen an Einfluss gewinnen, bleiben normative und professionelle Kriterien der Leistungserbringung gleichwohl in Kraft.“ (ebd.) Diese Lesart stützt Mirko Noordegraafs (2006) Hybriditätsthese, nach der sich in der Praxis Mischformen professionellen Managements oder managerieller Professionalisierung herausbilden. Dass dies die Unübersichtlichkeit im Feld für eine fachliche und fachpolitische Positionierung erschwert, ist evident. Diese Unübersichtlichkeit kann einerseits als Verschleierung eines ubiquitären Managementregimes kritisiert werden (vgl. Kriso Arbeitsgruppe New Public Management 2012), dem die Profession Sozialer Arbeit bislang zu wenig Aufklärerisches entgegenzusetzen habe. Andererseits gibt es Positionen, die in der eigenständigen „Theoriebildung zu Sozialmanagement und Management in der Sozialwirtschaft“ eine notwendige Professionalisierungsstrategie sehen (vgl. Wöhrle 2013: 1036 f.).
Aktive Beteiligung Sozialer Arbeit an manageriellen Transformationsprozessen
Der Begriff der Managerialisierung beantwortet – auch als kritischer Begriff – noch nicht die Frage, wie sehr diese Entwicklungen „von außen“ an das Feld der erzieherischen Hilfen herangetragen wurden, oder wie stark diese auch aus der Sozialen Arbeit heraus, d. h. von Fachkräften, Trägern, Verbänden und sozialpolitischen Akteuren in der Jugendhilfe, mit vorangetrieben wurden. Neuere Ansätze wirkungsorientierter Steuerung etwa, sind nicht hinreichend mit einer betriebswirtschaftlichen Kolonialisierung Sozialer Arbeit beschrieben. Diese Entwicklungen sind nicht allein als extern gesteuerte Technisierung bzw. Managerialisierung Sozialer Arbeit zu begreifen, sondern vollziehen sich unter aktiver Mitbeteiligung Sozialer Arbeit auf kommunaler Ebene (vgl. Polutta 2014).
In einer diskursanalytischen Studie rekonstruiert Jeremias Amstutz (2014) die Dynamiken im Verhältnis von Sozialmanagement und Sozialer Arbeit in den vergangenen Jahrzehnten und hebt ebenfalls sowohl die wechselseitigen Bedingungen von sozialpolitischer Reform, öffentlicher Verwaltungsmodernisierung und strategischen Trägerentscheidungen heraus, als auch die nicht zu vernachlässigende Rolle von Hochschulen, „die mit den Sozialmanagement-Studiengängen und in der Folge mit dem Produzieren von Literatur (Wissen) einen wesentlichen Beitrag zu dessen Entwicklung geleistet haben“ (ebd.: 42).
Jugendhilfeforschung im Kontext erzieherischer Hilfen muss das Geflecht solcher Entwicklungen (selbst-)kritisch zum Gegenstand von empirischer und theoretischer Analyse in professioneller Reflexion machen. Nur so können aufgeklärte Gestaltungsprozesse im fortwährenden Wandel des Feldes ermöglicht werden – sowohl beim unmittelbaren sozialpädagogischen Handeln als auch in konzeptionellen Auseinandersetzungen sowie bei sozialpolitischen Weichenstellungen.
Literatur
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