Ökonomisierung
aus: Kritisches Glossar Hilfen zur Erziehung. Düring, Diana et al. (Hrsg.) (2014)
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Begriffssystematik
Der Begriff Ökonomie bezieht sich einerseits im weitesten Sinne auf die Wirtschaft bzw. das Wirtschaften überhaupt, andererseits etwas enger auf die zweckgebundene Gestaltung von Sachverhalten mit geringsten Mitteln im Sinne von Sparsamkeit. Mit Ökonomisierung wird in der Sozialen Arbeit der Prozess einer spezifischen, und zwar betriebswirtschaftlich ausgerichteten, Umstrukturierung und Neusteuerung ihrer Institutionen bezeichnet, bei dem eine „zunehmende Durchdringung von Strukturen, Organisationsmodellen, Konzepten und Handlungsmustern sozialer Dienstleistungstätigkeiten durch wettbewerbliche, marktorientierte Elemente der Konkurrenz und Effizienz“ (Galuske 2002: 280) stattfindet. Der zentrale Modus, nach dem die vorhandenen Ressourcen, AkteurInnen, Bedarfe und Leistungen koordiniert, optimal verteilt und bestmöglich genutzt werden sollen und der zudem noch systemische Flexibilität und Innovationsoffenheit gewährleisten soll, wird in Markt und Wettbewerb gesucht (vgl. Otto/Schnurr 2000: 5).
Angestoßen durch die Veröffentlichungen der KGSt seit 1993 und der Publikation spezifischer Berichte für die Kinder- und Jugendhilfe in den Jahren 1994 und 1996 ist der Prozess der Einführung betriebswirtschaftlicher Steuerungselemente und Organisationslogiken auf der Konzeptebene seit Anfang der 1990er-Jahre in vollem Gange. Für die Umstrukturierung werden insbesondere sog. „Neue Steuerungsmodelle“ (NSM oder NPM, New Public Management) favorisiert sowie die Öffnung des sozialen Sektors auch für privat-gewerbliche AnbieterInnen angestrebt (vgl. Boeßenecker 2000: 14 ff.). Die Neuregelungen der §§ 78a ff. SGB VIII im Jahr 1998 bildeten schließlich die Grundlage für den Marktzugang und die rechtliche Gleichstellung potenzieller, auch privatgewerblicher LeistungsanbieterInnen; ferner wurden das vormalige Selbstkostendeckungsprinzip als auch die Privilegierung der freien Träger gegenüber privat-gewerblichen Trägern ausdrücklich aufgegeben. Bürokratisch strukturierte Steuerungsformen sollen sukzessive abgelöst werden durch betriebswirtschaftliche Steuerungselemente.
„AuftraggeberInnen“ (öffentlicher Träger) und „AuftragnehmerInnen“ (freie Träger) treten nunmehr mithilfe von Kontrakten in geregelte Austauschbeziehungen und treffen in abzuschließenden Leistungs-, Entgelt- und Qualitätsentwicklungsvereinbarungen prospektiv verbindliche Vereinbarungen, „welche Spezifikationen von Diensten und Leistungen, mit welchen (Qualitäts-)Eigenschaften, zu welchen Kosten erbracht werden sollen“ (Otto/Schnurr 2000: 5). Die Formulierung von Leistungsindikatoren erhöht die Kontrollmöglichkeiten des Auftraggebers/der Auftraggeberin in Bezug auf die Dienstleistungserbringung. Der/Die AuftraggeberIn entscheidet mit Blick auf ökonomische Kriterien des Weiteren, welche Leistungen er/sie selbst erbringt, welche er/sie von externen AkteurInnen per Auftrag erbringen lässt („Outsourcing“) bzw. welchem der konkurrierenden AnbieterInnen er/sie diesen Auftrag per Kontrakt erteilt („Wettbewerb“). Diese Aspekte bilden die zentralen Elemente für einen grundlegenden wohlfahrtsstaatlichen Wandel hin zu einem „wettbewerbsorientierten Wohlfahrtsstaat“, in dem verschiedene AkteurInnen im Rahmen einer Leistungs- und Kostentransparenz optimal zusammenwirken (sollen) (vgl. ebd.: 6).
Wandel des wohlfahrtsstaatlichen Arrangements
Hintergrund des Ökonomisierungsprozesses sind die Finanzierungsprobleme des bisherigen wohlfahrtsstaatlichen Arrangements bzw. die Finanzierungskrise der öffentlichen Haushalte bis auf die Kommunalebene. Die Zielsetzung dieses Prozesses ist deshalb mindestens eine doppelte: „Kostenersparnis bei gleichzeitigem Qualitätsgewinn (zumindest Qualitätserhalt).“ (Galuske 2002: 282). Im Kontext dieser doppelten Zielsetzung greifen in diesem Prozess externe, genuin betriebswirtschaftliche Organisations- und Entscheidungsstrukturen nach dem angelsächsischem „Purchaser-Provider-Prinzip“ (vgl. Messmer 2007: 10) mit kosteneinsparenden Maßnahmen, wie z. B. der Fallzahlsteuerung, dem Benchmarking oder der Budgetierung mit Deckelungsprinzip nahtlos ineinander. Die beschriebenen Strukturveränderungen, die mit der Umgestaltung der Verteilung der finanziellen Ressourcen sowie der Erbringung sozialer Dienstleistungen nach Wettbewerbs-, Markt- und Managementkriterien einhergehen, bedeuteten für die Jugendhilfe den Eintritt in eine veränderte Systemlogik und fügen sich bruchlos in das neue sozialstaatliche Aktivierungsparadigma ein: Der aktivierende Sozialstaat versteht sich als Antwort auf die Mängel des etablierten Sozialstaats, der mit der Kostenexplosion überfordert und in weiten Teilen handlungsunfähig geworden sei (vgl. Frey 2008: 32). Die bisherige wohlfahrtsstaatliche Dienstleistungserbringung – so die Kritik – ist zu teuer, zu ineffektiv und letztlich schädlich, da sie den Selbstbehauptungswillen und die Kreativität der Menschen schwächt, Untätigkeit alimentiert und „Sozialhilfementalitäten“ erzeugt. Den beruflich Tätigen im Sozialsektor wird „Professioneller Dilettantismus“ vorgeworfen, da entsprechende Bereiche ein hohes Maß an öffentlichen Mitteln binden, ohne jedoch entsprechende Wirkungsnachweise zu bringen in dem Sinne, dass gesellschaftliche Problemkonstellationen erfolgreich aufgelöst werden können (vgl. Gerull 1997: 10). Der Disziplin und Profession Sozialer Arbeit werden Ineffizienz, Kontraproduktivität, methodische und konzeptionelle Unzulänglichkeiten, Strukturmängel sowie ungünstige Verhältnisse von Aufwand und Nutzen zugeschrieben – in der Folge rückt an die Seite des Kostendruckes eine grundsätzliche Legitimationsfrage und in weiten Teilen auch eine Legitimationskrise.
Staatliche Normierungs- und Kontrollfunktionen werden in der Folge in neuer Weise revitalisiert: Die Zielperspektive eines sog. „workfare state“ (Verknüpfung sozialstaatlicher Transferleistungen mit verpflichtender Teilnahme an Aktivierungsmaßnahmen unter Sanktionsdrohung und Sanktionsumsetzung bei Nichteinhaltung) fungiert in diesem Zusammenhang als arbeitsmarktpolitischer Gegenbegriff zum Wohlfahrtsstaat bzw. „welfare state“ (bedingungslose Gewährleistung eines Minimalstandards zum Lebenserhalt der BürgerInnen), der auf ein Minimum unter dem neoliberalen Credo der „marktförmigen Wettbewerbsfähigkeit“ zurückgefahren werden soll (vgl. Dahme 2008: 14), weshalb bereits pointiert von einer Post-Sozialstaatlichkeit gesprochen wird (vgl. Ziegler 2008: 159). Analytisch bezieht sich Aktivierungspolitik auf drei Ebenen: erstens des Arbeitsmarktes, zweitens der öffentlichen Verwaltung bzw. der AnbieterInnen öffentlicher Dienstleistungen sowie drittens die Ebene der BürgerInnen. Aktivierung zielt hierbei auch insbesondere auf die BezieherInnen sozialstaatlicher Leistungen ab (vgl. Flösser/Otto/Schaarschuch 2001: 266) und es entsteht systematisch ein neues Selektionskriterium: aktivierungsfähige und nicht-aktivierungsfähige Menschen.
Insgesamt versprechen sich die BefürworterInnen von den skizzierten bzw. intendierten Veränderungen eine nachhaltige Leistungssteigerung innerhalb des Jugendhilfesystems durch den Abbau von Bürokratie, erhöhte Flexibilität, Ressourcen- und AdressatInnenenorientierung, während die KritikerInnen eine Deprofessionalisierung, eine Überformung sozialpädagogischer Handlungskontexte durch die Logik der Ökonomie und Tendenzen des Leistungsabbaus erwarten (vgl. Otto/Schnurr 2000: 9).
Ökonomisierung der Jugendhilfe: Konsequenzen und Kritik
Vor diesem in groben Zügen skizzierten Hintergrund muss eine Auseinandersetzung um die Zusammenhänge zwischen Ökonomie und Jugendhilfe geführt werden, wobei dieser Zusammenhang keineswegs neu ist: Ökonomie und Jugendhilfe sind historisch und systematisch aufeinander bezogen. Jugendhilfe ist in ihrer Integrationsperspektive ganz wesentlich auf die sozialintegrativen Funktionen von (Erwerbs-)Arbeit im Sozialstaat bezogen. Dieser ist in seinen Konstruktionsprinzipien, Strukturen und Handlungsmaximen im Kern lohnarbeitszentriert (vgl. Galuske 2002: 7). Trotz dieser Bezüge finden in neuerer Zeit (betriebs-)wirtschaftliche Sprech- und Denkweisen in einem bis dato unbekannten Ausmaß ihren Platz in den Sprachspielen und Diskursen der Sozialen Arbeit: Denn „wo früher von kindlichen Bedürfnissen, von Stigmatisierung oder totaler Institution, von Aufklärung, Ideologiekritik, Emanzipation oder pädagogischem Bezug die Rede war, wird die erziehungs- und sozialwissenschaftliche Terminologie heute mehr oder minder radikal durch Begriffe wie neue Steuerung, Sozialmanagement, Kundenorientierung oder Qualitätssicherung ergänzt, konterkariert oder gar ersetzt“ (Rauschenbach 1999: 225). Die Ökonomisierung ist im 21. Jahrhundert nicht nur in die Sprache, sondern auch tief in Erwartungen, Haltungen, Praxisfelder und Inhalte der Sozialen Arbeit eingedrungen (vgl. Galuske 2007: 357 ff.).
Für die Jugendhilfe resp. die Hilfen zur Erziehung (HzE) ist von zentraler Bedeutung, ob das neue, damit transportierte und in alle Ebenen eindringende Effizienz- und Effektivitätsdenken förderlich in einem Feld ist, in dem vertrauensvolle Beziehungen zu KlientInnen die Basis tragfähiger Arbeitsbündnisse und Grundlage der Ermöglichung von Hilfe-, Erziehungs- und Bildungsprozessen sind. Empirisch lässt sich beobachten, dass fachliche Umdeutungen ökonomischer Prozess- und Wirkungsvorstellungen auch zur prozesshaften Überprüfung und Anpassung von Zielerreichung, zur Förderung der Partizipation von Kindern und Jugendlichen und der transparenten Berücksichtigung ihres Feedbacks oder auch zur häufig vernachlässigten Wissenssicherung führen können (vgl. Schröder, Jenkel, Schmid 2012; Gabriel, et al. 2010). Durch fachlichintellektuellen Widerstand können ökonomisierte Formeln durchaus selbstbewusst(-er) verworfen oder re-interpretiert werden (vgl. bspw. Then, Kehl 2013). Prinzipiell bleibt jedoch die Gefahr bestehen, sich „der Dominanz ökonomistischen Denkens auszuliefern“ (Grunwald 2011: 1556) sowie den Nebenfolgen eben diesen Denkens: So verändern die wohlfahrtstaatlichen Umstrukturierungen und die in Gesetzen wie dem SGB II transportierte Philosophie auch zentrale Subjektbegriffe und Menschenbilder, indem bspw. die Menschen zunehmend standardisiert und quantifizierend vermessen und beschleunigte Entwicklungen erwartet werden. Neben aktuellen Aspekten steht jedoch auch ganz grundlegend infrage, ob sich marktförmig-unternehmerische Prinzipien der Produktion und des Güteraustauschs auch auf nicht-erwerbswirtschaftliche Leistungsbereiche überhaupt übertragen lassen bzw. lassen dürfen, wie die nachfolgenden systematischen Kritikpunkte verdeutlichen:
- Angebot und Nachfrage: Diverse Teile sozialer Dienstleistungen als öffentliche Güter haben zwar einen hohen gesellschaftlichen Nutzen, können jedoch nicht als marktfähiges Angebot organisiert werden wie z. B. hoheitliche Aufgaben des Jugendamtes im Kontext des Kinderschutzes. Auch bezogen auf die Finanzierungsformen greift eine schlichte Marktlogik nicht: Preise und Kostenerstattungen kommen nicht wie in der Marktwirtschaft aufgrund von Angebot und Nachfrage zustande, da auf der NachfragerInnenseite (öffentlicher Kostenträger) ein Monopol existiert und sich zudem die Nachfrage in der Sozialen Arbeit aufspaltet in Bedarf und Finanzierung, d. h. die eigentlichen NutzerInnen der Leistung haben keinen Einfluss auf die Finanzierung. Allerdings können sich Marktmechanismen etwa durch inszenierten Wettbewerb einstellen, z. B. indem eine gleiche Leistung von verschiedenen Trägern zu unterschiedlichen Preisen angeboten wird.
- Qualität und Kosten: Die Gefahr liegt nahe, dass „DumpinganbieterInnen“ im Quasi-Markt den Wettbewerb dominieren anstatt jene Träger mit qualitativ hochwertiger Arbeit, die höhere Kosten verursacht (vgl. Messmer 2007: 24). Dabei ist jedoch die Höhe der Kosten wiederum nicht gleichbedeutend mit Qualität: Kosten von Erziehungshilfen können auch stark variieren, ohne dass zwischen den günstigen und teuren Settings große Unterschiede festzustellen wären (vgl. Ward et al. 2008: 260). Deshalb ist bspw. die Tendenz zunehmender Platzierungszahlen in kostengünstigeren Pflegefamilien oder Verwandtschaftspflege (ebd.: 263) nicht voreilig als Beleg niedriger Qualität zu sehen, aber es gilt, solche Entwicklungen hinsichtlich fachlicher Qualitätssicherung zu beobachten.
- Rollen der Träger: Neben dem Umstand, dass sich öffentliche und freie Träger nun weniger in einem Kooperationsverhältnis als vielmehr in einem AuftraggeberIn-AuftragnehmerIn-Verhältnis im Kontraktmanagement begegnen, verschiebt sich das Rollenverhältnis noch weiter: Während die Stellung des öffentlichen Trägers gestärkt wird (s. o.), müssen sich die LeistungserbringerInnen im wettbewerbsgesteuerten Feld marktgerecht und argumentativ-legitimatorisch in Richtung Effizienz und Effektivität positionieren, um konkurrenzfähig zu bleiben (vgl. Gerull 1997: 29 ff.). Identitäten sowie fachliche Überzeugungen können durchaus in ein Spannungsverhältnis zum ökonomischen Fortbestehen geraten und Einrichtungen unfreiwillig in entsprechende Entscheidungs- und Positionierungsprozesse bringen. Wird die Zielerreichung gegenüber dem/der AuftraggeberIn zentral und Professionelle zu reinen UmsetzerInnen zur Aktivierung der Klientel samt der damit notwendig verbundenen Sanktionierung bei Nichteinhaltung umfunktioniert, erodiert das bisherige Parteilichkeitsprinzip. Dieses hätte nicht nur verheerende Auswirkungen auf das doppelte bzw. dreifache Mandat gegenüber Klientel, Staat bzw. AuftraggeberInnen und gegenüber dem ethischen Kodex Sozialer Arbeit, sondern ebenso auf Möglichkeitsräume zur Partizipation der Klientel sowie zur kritisch-fachlichen Reflexion der Professionellen (vgl. Lutz 2008: 5 ff.).
- Investitions- und Aktivierungslogik: Im Kontext der (präventiv ausgerichteten) Investitions- und Aktivierungslogik wird tendenziell diejenige Klientel in den Fokus der Hilfe genommen, die Erfolg versprechend aktiviert werden kann, während KlientInnen in komplexen und multiplen Problemlagen von qualitativ hochwertigen Hilfen exkludiert werden (Ward et al. 2008: 263) – es entstünde eine Zwei-Klassen-Klientel (vgl. Lutz 2008: 8). „Investitionen“ materieller und fachlicher Ressourcen werden dorthin verschoben, wo mit relativ geringem Aufwand höherer Erfolg erwartbar ist wie z. B. bei den kleinen Kindern, während Ältere tendenziell unter dem Aspekt von bereits stattgefundenen Erfahrungen des (erziehungs- und bildungsbezogenen)
Scheiterns thematisiert werden. In einem solchen Kontext schließlich stabilisiert und potenziert sich die Asymmetrie sowie das Machtgefälle Sozialer Arbeit gegenüber der Klientel.
- Professionalität contra Technologisierung und Standardisierung: Jugendhilfeleistungen sind insofern nicht standardisierbar, da sie als personenbezogene soziale Dienstleistungen aufgrund des „Uno-actu-Prinzips“ immer auch von der Koproduktion der Klientel abhängig sind. Die Vorstellung von deutlich getrennten LeistungsempfängerInnen und LeistungserstellerInnen funktioniert schon deshalb nicht, weil diese in gemeinsamen Beziehungs- und/oder Bezugssituationen stehen. Spätestens seit der Formel des „strukturellen Technologiedefizits“ weiß man um die Unmöglichkeit, funktionierende Technologien in diesem Feld zu entwickeln, da es keine eindeutigen Kenntnisse der Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge (sozial-) pädagogischer Interventionen geben kann (vgl. Luhmann/Schorr 1979). Zu vermuten ist, dass im Kontext der Ökonomisierung weniger Professionalitätsgewinne als vielmehr eine Dequalifizierung und Labilisierung des Berufsfeldes zu erwarten sind – begreift man das Maß an zugestandener Autonomie in der Erledigung beruflicher Aufgaben als Gradmesser für die Anerkennung und Akzeptanz einer Profession. Setzen Kosten-, Legitimations- und Zeitdruck die Agenda, wird ein qualifiziertes, einzelfallbezogenes und zeitintensives Fallverstehen verunmöglicht; wahrscheinlicher wird der Rückgriff auf standardisierte Analyseinstrumente, Fragebögen, Diagnosetabellen, Merk- und Indikatorenlisten, Testverfahren etc. Damit wird das Risiko eingegangen, „eine Verfahrensmechanik zu begründen, die für die Spezifik und Individualität des Einzelfalls blind ist“ (Höpfner et al. 1999: 202). Professionalitätsverluste begleiten ebenso die erwartbare Spaltung von Management und Ausführenden: Ein (ggf. fachfremdes) Management übernimmt die Fallführung, trifft die wesentlichen Entscheidungen und koordiniert die vielzähligen beteiligten Professionen, Expertisen und Stellen. Die ausführenden Fachkräfte differenzieren zunehmend ihre Tätigkeiten und agieren nur noch in Teilbereichen, z. B. konzentrieren sie sich ausschließlich auf den Elternkontakt, die Arbeits- oder die Wohnungssuche. Auf disziplinärer Ebene gerät Soziale Arbeit in eine reagierende und untergeordnete Rolle gegenüber bspw. der Psychologie, der Medizin oder der Betriebswirtschaft, angesichts deren oft sozialtechnologisch angelegten Verfahren mit einfacheren mess- und isolierbaren sowie gesellschaftlich anerkannteren Indikatoren etwa im Rahmen von Konzepten der psychischen und sozialen Normalität.
Schlussbemerkungen
Auch wenn sich empirisch bis heute nicht von einer „Flutwelle der Privatisierung“ in den HzE sprechen lässt und unklar bleibt, in welchem tatsächlichen Ausmaß betriebswirtschaftlich ausgerichtete Umstrukturierungen vorgenommen werden, wird die Kostenproblematik ein (wenn auch ungeliebtes) Leitmotiv bleiben und weiterhin auch Fachdebatten wie die Sozialraumorientierung und Wirkungsorientierung in den HzE grundieren. Selbstverständlich muss sich eine Profession der Legitimations- und Qualitätsfrage stellen – aktuell speisen sich entsprechende Kritiken und Verfahrensvorschläge jedoch aus einer ökonomischen Heuristik heraus, die der genuinen sozialpädagogischen Eigenlogik konträr gegenübersteht. Die im Kern jeder Erziehungshilfeleistung stehende Beziehungsarbeit benötigt Zeit, Entwicklungsprozesse vollziehen sich keineswegs geordnet und in klaren Phasen, sondern es werden Schleifen durchlaufen, erneute Versuche gestartet oder „Ehrenrunden“ gedreht – Hilfen zur Erziehung beinhalten unberechenbare, fallspezifische Aspekte und Dimensionen, die nicht anhand von betriebswirtschaftlichen Prinzipien messbar sind. Der Primat des Ökonomischen, die managerielle Überformung des Feldes, der Fokus auf institutionell-organisatorische Aspekte sowie die tiefe Durchdringung unseres eigenen Denkens und Wahrnehmens mit genuin betriebswirtschaftlichen Kategorien können in ihrer ganzen Konsequenz zu einer „Enthumanisierung“ führen: „Leitidee scheint nicht mehr zu sein, dass Menschen sich entwickeln und befähigen, sondern dass Organisationen sich perfekt durchrationalisieren. Da verwundert es nicht, dass auch die Möglichkeiten zur Teilhabe und Einflussnahme auf der Strecke bleiben und die Menschen zunehmend der Logik von Organisationen untergeordnet werden.“ (Sozialpädagogisches Institut 1999: 4) Während in den entsprechenden Debatten viel über betriebswirtschaftliche Kosten gesprochen wird, bleiben Fragen nach dem volkswirtschaftlichen Nutzen der Hilfen zur Erziehung komplett außen vor. Umso wichtiger ist, dass Soziale Arbeit das Kostenargument kritisch betrachtet und bemüht bleibt, mit ihrem politischen Mandat die Sozialpolitik aktiv (mit) zu gestalten.
Nicht die Anstrengungen um eine Definition von Effektivität und Qualität an sich sind als problematisch zu verstehen, sondern auf welchen Prämissen diese jeweils basieren und wessen Interessen und Werte sie in ihrer Definition berücksichtigt. Vor dem augenscheinlichen Widerspruch, dass der Bedarf an Unterstützungsleistung steigt (vgl. Lotte, Pothmann 2010: 2 ff.), aber die Maßnahmen kostengünstiger sein sollen, sind Qualitätseinbußen realistischerweise zu erwarten (vgl. Messmer 2007: 18). Dementsprechend können HzE nicht selten falsch, gar nicht, unkoordiniert und/oder qualitativ minderwertig geleistet werden. Einrichtungen schaffen sich in diesem Kontext eine gute Ausgangslage, deren Angebote mit einer differenzierten Aufnahmeindikation viele Ausschlusskriterien beinhalten und gleichzeitig naheliegende, einfach zu überprüfende Ziele definieren – ein Umstand, der einer nicht-ausgrenzenden, tragfähigen und normalisierenden Jugendhilfestruktur konträr gegenübersteht. Zahlreiche komplexe Hilfefälle, sprich: Kinder, Jugendliche und Familien, fallen in der Konsequenz durch die sozialpädagogischen Maschen und entweder vollständig aus sozialen Unterstützungsstrukturen heraus oder sie werden anderen Fachdiskursen und Professionen mit ökonomisch anschlussfähigeren Standards und Indikationen übergeben. Entscheidend wird aus unserer Sicht sein, ob es den AkteurInnen gelingt, sich Deutungshoheiten über ihr eigenes professionelles Feld zu bewahren und ihre eigene Sprache und Perspektive auf belastete und belastende Lebenssituationen von Kindern, Jugendlichen und Familien zu kultivieren.Auf dieser Basis ließen sich auch Mandate und Visionen weiterentwickeln und gegenüber dem ökonomischen Denken könnten eigene, selbstbewusste und fachlich fundierte Reflexionen und Deutungen gesellschaftlicher Wirklichkeit ins Spiel gebracht bzw. dort gehalten werden.
Literatur
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