Flexibilisierung
aus: Kritisches Glossar Hilfen zur Erziehung. Düring, Diana et al. (Hrsg.) (2014)
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Flexibilisierung war in den 1990er-Jahren in öffentlichen und sozialwissenschaftlichen Diskursen zu einem schillernden Leitbegriff geworden. Entsprechend wurde Flexibilität 2004 in das von Bröckling u. a. herausgegebene „Glossar der Gegenwart“ aufgenommen als eines jener gesellschaftlichen und individuellen Selbstdeutungsschemata mit hoher strategischer Strahlkraft, die mit fast natürlich wirkender Überzeugungskraft und Glaubhaftigkeit ausgestattet sind, über politische Fraktionierungen, soziale Milieus und Disziplingrenzen hinweg in ganz verschiedenen Diskursen zu finden und durchweg positiv aufgeladen sind (vgl. ebd. 2004: 10). Denn was spräche gegen z. B. die Fähigkeit, flexibel zu sein? Wer gäbe sich selbst z. B. als Fachkraft oder der eigenen Einrichtung freiwillig die Attribute unflexibel oder nicht anpassungsfähig? Als konzeptionelle Leitbegriffe machten Flexibilität und Flexibilisierung in den HzE zeitgleich ebenfalls eine steile Karriere: Das Konzept der Flexiblen Erziehungshilfen mit seinem Einrichtungsmodell der sog. Jugendhilfestationen (vgl. Klatetzki 1995, 2001) wurde euphorisch als das Pioniermodell einer innovativen Jugendhilfe vorgestellt. Etwas unaufgeregter, aber prominent setzte Flexibilität ihren Weg in den HzE fort, indem sie als konzeptioneller Aspekt neben Integration und Sozialraumorientierung in das von der IGfH zwischen 1998 bis 2003 durchgeführte Bundesmodellprojekt INTEGRA einging. Bis heute ist die Fachdebatte um flexible Hilfen in den HzE präsent (vgl. z. B. Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft 2012; Plankensteiner u. a. 2013).
Als Prozessbegriff steht Flexibilisierung für Innovation, für Wandel und Reform und ist konstitutiv bezogen auf die gegenwärtigen, beschleunigten gesellschaftlichen Modernisierungsprozesse. Michael Galuske verwendet ihn 2002 als analytischen Begriff, um eine Positionierung Sozialer Arbeit im Kontext des ökonomischen Strukturwandels hin zu einer „flexiblen Arbeitsgesellschaft“ bzw. einem „flexiblen Kapitalismus“ (vgl. Sennett 1998) sowie des sozialstaatlichen Wandels zu rekonstruieren (vgl. Galuske 2002). Um im Kontext der Modernisierungsprozesse erfolgreich handeln zu können, so die allgemeine Diskurslogik, ist Flexibilität zentraler Faktor und strategisches Schlüsselmoment einerseits für Menschen, um mit den Anforderungen des Wandels adäquat umgehen zu können (gefordert ist hier „der flexible Mensch“, vgl. Sennett 1998), und andererseits für Organisationen, für Vereine, Betriebe, Unternehmen und Einrichtungen angesichts sich verändernder Umweltbedingungen (Modell ist hier z. B. die „flexible Firma“). In den HzE meint die Formel „flexible Hilfen“ im Kern die Entwicklung von konsequent einzelfallbezogenen, passgenauen Arrangements für Kinder, Jugendliche und ihre Familien, die als Hilfeangebote hinsichtlich der zeitlichen Reaktionsfähigkeit, der zeitlichen Intensität und Frequenz sowie der örtlichen Gestaltung variabel und den jeweiligen Erfordernissen entsprechend beweglich sind. Einigkeit herrscht darüber, dass hierfür kontraproduktiv insbesondere die „versäulte“, an den rechtlich normierten und verwaltungstechnisch zentralen Hilfeformen der §§ 28–35 SGB VIII orientierte Struktur der Erziehungshilfen ist sowie die entsprechenden trägerspezifischen Zuständigkeiten und Interessen. Das Modellprojekt INTEGRA zielte vor diesem Hintergrund auf nicht weniger als eine umfassende strukturelle Neuorganisation der Erziehungshilfen und einen grundlegenden Paradigmenwechsel in der Hilfeerbringung. Die Innovation fordernde Fachdebatte knüpft dabei an seit spätestens der Heimkampagne formulierte Kritiklinien im Hinblick auf institutionelle, sowohl professionelle als auch organisatorische Problematiken in den HzE an (vgl. zusammenfassend zu den Kritiklinien sowie zum programmatisch geforderten Paradigmenwechsel Rosenbauer 2008: 15 ff.).
Reformdiskurs in den Hilfen zur Erziehung
Dieser Reformdiskurs in den HzE lässt sich als exemplarisches Beispiel für den Trend einer subjektorientierten Flexibilisierung Sozialer Arbeit verstehen: Dieser genuin fachlich inspirierte Trend speist sich aus der Lebensweltund Dienstleistungsorientierung und zielt auf eine Öffnung der institutionell-organisatorischen Strukturen und professionellen Denk- und Handlungsmuster für die lebensweltliche Eingebundenheit und den biographischen Eigensinn der AdressatInnen. Indem sich die Modernisierung der Moderne als ein Prozess der fortschreitenden Individualisierung, Pluralisierung und Globalisierung beschreiben lässt, müssen sich auch die Organisationsformen von Hilfe und Unterstützung biografisch und sozialräumlich sensibilisieren und sich den neuen, flüchtigen, sich permanent wandelnden Bedarfs- und Problemlagen der Subjekte anpassen (vgl. Galuske 2002: 298 ff.). So weit, so gut. Doch die subjektorientierte Flexibilisierung ist nicht die einzige Spielerin im Feld. Deutlich von ihr abzugrenzen ist ein weiterer Trend, die systemische Flexibilisierung. Es liegt förmlich auf der Hand, Flexibilisierungspotenziale im Kontext des gegenwärtigen Effektivitäts- und Effizienzdiktums in den HzE zu instrumentalisieren: Flexibilität verspricht einen optimalen, ziel- und passgenauen finanziellen, organisatorischen und personellen Ressourceneinsatz. Solche Potenziale finden sich innerhalb von Einrichtungen z. B. als vermehrt variabler, temporärer Personaleinsatz; als Entwicklung neuer, auf fokussierte Zielgruppen passgenau zugeschnittene Angebote sowie zwischen Einrichtungen und Organisationen z. B. im Sinne des Erreichens einer kostengünstigen Gestaltung der Angebote durch inszenierten (Kosten-)Wettbewerb und Konkurrenz von Leistungserbringern untereinander; durch die Implementation neuer Finanzierungs- und Entgeltformen wie Fachleistungsstunde oder (Sozialraum-, Träger-)Budgets; durch Veränderungen des Rollenmodells von öffentlichem und freien Träger wie bspw. im Kontext Neuer Steuerungsmodelle sowie der §§ 78a ff. SGB VIII. Dieser von außen an das Feld herangetragene und aus völlig anderen Interessen gespeiste Trend der systemischen Flexibilisierung ist aufs Engste verkoppelt mit der Ökonomisierung des Sozialsektors sowie Prozessen der Deregulierung, Privatisierung, Entstrukturierung und Entstandardisierung. Aufgrund des Kostendrucks und den steigenden, nicht mehr (re-)finanzierbaren Ausgaben für die HzE – so die Sachzwanglogik dieses Diskurses – sind wettbewerbs- und marktorientierte Umgestaltungen unvermeidbar.
Damit ergibt sich ein Spannungsfeld aus zwei gegensätzlichen Trends, in der sich die Inblicknahme von Flexibilisierungspotenzialen in den HzE mehr als janusköpfig bzw. durchaus als „Wolf im Schafspelz“ darstellen kann. Dies wird im Folgenden auf der Ebene des Personals in den HzE verdeutlicht: Wenn Angebote in den HzE kurzfristig, variabel in Intensität und Frequenz, unbürokratisch und auf ganz unterschiedliche Lebenssituationen einzelfallbezogen ausgestaltet zur Verfügung gestellt werden, dann braucht es dafür zunächst MitarbeiterInnen, die diese Flexibilität ermöglichen. Einhergehend mit Flexibilisierungsprozessen lässt sich entsprechend eine Transformation von Arbeit beobachten, und zwar (a) strukturell im Hinblick auf eine Deregulierung von Beschäftigungsverhältnissen, und (b) als Durchsetzung entgrenzter Arbeitsregimes auf der Ebene der Gestaltung des Arbeitsalltags.
- Zentraler empirischer Indikator für Deregulierungsprozesse der Beschäftigungsverhältnisse ist der Rückgang des Anteils von Beschäftigung in Normalarbeitsverhältnissen, d. h. der unbefristeten Vollzeitarbeit, und die Zunahme prekärer Beschäftigung (vgl. Flecker 1999: 2). Als prekäre, da minder geschützte „a-typische“ Beschäftigungsformen werden geringfügige Beschäftigung, Mini- und Midijobs, Ich-AGs, Werkverträge oder Scheinselbstständigkeit, Leiharbeit, Beschäftigung als Honorarkräfte, befristete Beschäftigung sowie generell Teilzeitarbeit verstanden. Diese Beschäftigungsformen sind wesentliche Elemente der in der sozialwissenschaftlichen Diskussion so genannten externen Flexibilisierung, mit der man die strategische Option von Unternehmen bezeichnet, auf Marktschwankungen mit Personalanpassungen, mit Einstellungen und Entlassungen zu reagieren (vgl. Kronauer/Linne 2005: 12) – Verbilligung ist dabei ggf. gewünschtes Nebenprodukt. Aufgrund der schwierigen Datenlage lässt sich die Frage der Zunahme von atypischen Beschäftigungsverhältnissen in den HzE zwar nur in Ansätzen beantworten, gleichwohl lassen sich Trends identifizieren: Deutlich in den HzE zu beobachten ist eine erhebliche Zunahme der Teilzeitbeschäftigung. Von 1998 bis 2010 steigt die Teilzeitquote von 37 auf 47 %. Der Anteil der Beschäftigung mit weniger als 20 Stunden ist kontinuierlich angestiegen, von 13 % im Jahr 1998 auf 17 % des Personals im Jahr 2006 (vgl. GEW 2012: 45). Der Anteil der Beschäftigten mit einem Umfang von mehr als 20 Stunden steigt seit 2002 und liegt 2010 bei rund 29 %. Einfluss auf den Beschäftigungsumfang hat dabei die Art des HzE-Settings: In der Heimerziehung (Gruppendienst) ist der Anteil der Teilzeitbeschäftigten erwartungsgemäß am niedrigsten (vgl. ebd.: 49), in der
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sind demgegenüber 71 % des Personals teilzeittätig. Insbesondere Frauen und jüngere ArbeitnehmerInnen (speziell unter 30 Jahren) sind häufiger teilzeitbeschäftigt. Im Jahr 2002 sind 11 % befristete Beschäftigungsverhältnisse. Der Anteil der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse in (teil-)stationären Einrichtungen beträgt knapp 8 %.
Gegenüber den Arbeitsfeldern der Kinder- und Jugendarbeit sowie Hort und Ganztagsschule bieten die Hilfen zur Erziehung noch am ehesten stabile Beschäftigungsverhältnisse in der Jugendhilfe. Der bis Mitte 2006 brisante Trend des Personalrückgangs bei gleichzeitig steigendem Fallvolumen ist seit 2010 nicht mehr feststellbar, seither ist wieder eine nominale Personalzunahme in den HzE zu beobachten (vgl. GEW 2012: 53). Gleichzeitig ist jedoch davon auszugehen, dass sich die Lage hinsichtlich der Beschäftigungsverhältnisse insgesamt sowie insbesondere für die Jüngeren verschärfen wird: Angesichts der weiteren Ausdifferenzierung des Arbeitsfeldes, der Vielfalt der ambulanten Hilfesettings, der Tendenz zu immer kürzeren Hilfen sowie einer weiteren Flexibilisierung von Angeboten ist von einer Zunahme der atypischen Beschäftigungsverhältnisse für die HzE auszugehen; Praxisberichte lassen vermuten, dass der Einsatz von flexibel einsetzbaren Honorarkräften in den HzE zugenommen hat (vgl. GEW 2012: 51) und auch weiter zunehmen wird. Von der Prekarisierung sind vor allem BerufseinsteigerInnen betroffen. Für diese hat auch der Befristungsaspekt eine größere Bedeutung: In den neuen tarifvertraglichen Regulierungen (TVÖD) sind Tätigkeit und Dauer im Anstellungsverhältnis die wesentlichen Eingruppierungsfaktoren, so dass bei Stellenwechseln der Aufstieg in die höhere Entgeltstufe entfallen bzw. trotz einschlägiger Berufserfahrung gar eine Rückstufung erfolgen kann (vgl. Eichinger 2011: 80; GEW 2012: 44).
Unbestritten ist, dass es sich bei atypischer Beschäftigung durchaus um von den ArbeitnehmerInnen gewollte, in den jeweiligen Lebensentwurf passende Beschäftigungsformen handeln kann – wichtig sind jedoch die Nebenfolgen der strukturellen Ausweitung dieser Beschäftigungsformen: Es werden Strukturen um- oder abgebaut, die aus der Perspektive der Beschäftigten Sicherheiten darstellten (planbare Arbeitszeiten und Einkommen, Beschäftigungssicherheit). Neben steigenden Unsicherheitsgefühlen und -erfahrungen wird durch Deregulierung, je unsicherer die Beschäftigungsverhältnisse bei insgesamt schwieriger Arbeitsmarktlage sind und je mehr Entscheidungsbefugnisse bei ArbeitgeberInnen liegen, die Machtposition der ArbeitnehmerInnen geschwächt und Arbeitskraft diszipliniert – indem z. B. befristet Beschäftigte für das Zeigen von Wohlverhalten mit Übernahme belohnt werden können (vgl. Flecker 1999: 3). Fallbezogene Refinanzierungsstrukturen, etwa in den ambulanten HzE, können sich äußerst ungünstig auf Machtbalancen in Richtung der KlientInnen auswirken, wenn Fachkräfte existentiell abhängig sind von der Weiterführung einzelner Fälle. Allgemein gesprochen, werden in Deregulierungsprozessen Risiken der Weiterbeschäftigung von der Organisation weg an die Person delegiert, die diese Risiken nunmehr individuell-biografisch zu bewältigen hat. - Auf der Ebene des Arbeitsalltags in den HzE zeigt sich, dass sich mit einer Orientierung am Leitbild der Flexibilität eine Subjektivierung von Arbeit (vgl. Moldaschl/Voß 2002) und zunehmend entgrenzte Arbeitsregimes im Sinne einer Zuspitzung der für Dienstleistungsarbeit typischen Strategien der betrieblichen Nutzung von Arbeitskraft verbinden (vgl. Rosenbauer 2008: 223 ff.). Während sich fordistische Arbeitsregimes durch klare Strukturierungen auszeichnen – in den HzE insbesondere repräsentiert durch die Arbeit in Heimerziehung mit klaren Dienstplan- und Zeitstrukturen, Ortgebundenheit stationärer Einrichtungen, durch die Organisation vorgegebene, für alle gültige Alltagsregeln etc. –, manifestiert sich die Entgrenzung insbesondere in der Gestaltung von Ort und Zeit: Im Hinblick auf den Arbeitsort lockert sich die lokale Strukturierung von Arbeit und löst sich die Bindung an einen spezifischen, festen betrieblichen Ort der Arbeit. Arbeitstage zeichnen sich durch einen Wechsel von Arbeitsorten aus, was den MitarbeiterInnen eine erhöhte alltägliche räumliche Mobilität abfordert. Das Auto, Wohnungen der KlientInnen, Cafés u. Ä. werden technisch unterstützt durch Laptops etc. zu Arbeitsorten. Normativ prägend wird – auch in stationären Hilfen – ein Trend zur Ambulantisierung, d. h. zum vermehrten Rückgriff auf Geh-Strukturen und einer Arbeit in Lebensfeldern und Lebenswelten der KlientInnen. Im Hinblick auf die zeitliche Strukturierung löst sich eine (z. B. wöchentlich) wiederkehrende Arbeitszeitstruktur durch variable, an den je gegebenen täglichen Erfordernissen orientierte Arbeitszeiten auf. Vorherrschend ist eine temporär ausgerichtete, an Kurzzeitigkeit und Schnelligkeit ausgerichtete Zeitperspektive. Termine orientieren sich nicht notwendigerweise an herkömmlichen Bürozeiten, individuelle Zeitrhythmen der KlientInnen müssen organisatorisch einbezogen werden. Flexibilisierung basiert zudem ganz wesentlich auf der Gewährung größerer Handlungs- und Entscheidungsspielräume sowie höherer Selbstverantwortung für Teams und einzelne MitarbeiterInnen, was die Fachkräfte als äußerst positiv bewerten. Sie gewinnen zudem immense Spielräume zur Selbstbestimmung in der Ausgestaltung ihres Arbeitsalltags und der Fallarbeit und weisen der Entwicklung hin zu mehr Flexibilität in den HzE in zentraler Weise Professionalisierungs- bzw. Professionalitätsgewinne zu.
Auf der Hinterbühne zeigen sich dann jedoch auch Risiken und Nebenfolgen: Es steigen sowohl individuelle Anforderungen an Selbststeuerung und Selbstorganisation, insbesondere auch an die Selbstsorge im Hinblick auf die emotional-psychologischen Effekte der Arbeit, als auch Leistungsanforderungen (qualifikatorisch, persönlich), da weniger nach Routinen gearbeitet werden kann und sich die Ergebnisverantwortung für den Fall tendenziell von der Organisation weg hin zur einzelnen Fachkraft und ihrer persönlichen Gestaltungskraft eines adäquaten HzE-Settings verschiebt. An dieser Stelle greifen Arbeitsregimes auch mit der strukturellen Ausgestaltung von Arbeitsverhältnissen ineinander: Das normativ prägende Bild schiebt sich zunehmend weg von ArbeitnehmerInnen als Ausführende von Routinehandlungen bzw. allgemein gültigen Abläufen in tarif-, arbeits- und sozialrechtlich eng und klar regulierten Normalarbeitsverhältnissen mit geregelten Arbeitszeiten hin zum Bild der neuen Figur des oder der mit hoher Eigenverantwortung ausgestatteten „ArbeitskraftunternehmerIn“ (Voß/Pongratz 1998) bzw. „UnternehmerIn seiner/ihrer selbst“ (vgl. Flecker 1999: 6), die ihren Arbeitsalltag und ihre Arbeitskraft unter Nutzung ihrer individuellen Fähigkeiten und Kompetenzen zunehmend selbst steuert und managt. Kurz: „Die Anforderungen laufen auf ein Mehr an Leistung, Flexibilität und eigenverantwortlichem Arbeitshandeln bei gleichzeitiger Reduzierung institutionell und kollektivvertraglich garantierter Schutz- und Sicherungsniveaus hinaus“ (Lenhardt/Priester 2005: 491).
In solchen ent-grenzten Arbeitsregimes stellt sich schließlich tatsächlich die Frage nach Grenzen ganz neu: Durch den Bezug auf Flexibilität werden zwar einerseits fachliche Potenziale freigesetzt, indem der nach innen gewendete selbstkritische Blick produktive Entwicklungen anstößt und Professionalisierungsprozesse dynamisiert, andererseits treten die Benennung und Reflexion von Grenzen deutlich in den Hintergrund, da Flexibilisierung als prinzipiell endloser Prozess erscheint, eine universelle Problemlösungskompetenz suggeriert („es geht immer noch flexibler“) und in Einrichtungen tendenziell einen Machbarkeitsmythos entstehen lässt (vgl. Rosenbauer 2008: 246). Paradoxerweise können gerade grenzziehende und grenzsetzende Handlungen, wenn sie dann schließlich vollzogen werden, sehr rigide und fundamental ausfallen – z. B. gegenüber KlientInnen, die trotz aller Bemühungen schlichtweg nicht die notwendige Initiative und/oder Bereitschaft aufbringen können oder wollen, die passgenau für sie zugeschnitte Hilfe anzunehmen.
Flexibilisierung zwischen Subjekt- und Systemorientierung
Bei näherer Betrachtung stellt sich Flexibilisierung in den HzE als ambivalenter Prozess dar, in den unterschiedlichste Interessen einfließen und in dem die Frage, wer und in welch unterschiedlichen Weisen davon profitiert (und wer nicht), differenziert und vielgliedrig zu betrachten ist. Angesichts ihrer Ambivalenzen und Risiken muss Flexibilisierung um weitere Konzepte ergänzt werden – und zwar solche, die auf Sicherheit und Stabilität fokussieren. Dies ist und bleibt in gewisser Weise paradox, da flexible Praktiken und Diskurse zum einen Sicherheiten, Routinen und Stabilität kritisieren, zum anderen diese Aspekte jedoch erst die – allerdings in der Regel nicht-thematisierten – Voraussetzungen von Flexibilität sind (vgl. Lemke 2004: 86 f., Brandt 2013: 9). Für flexibilisierte Einrichtungen der HzE etwa bietet sich die Erweiterung um solche Konzepte wie jenes der „Guten Arbeit“ an: Mit diesem wird eine menschengerechte Arbeitsgestaltung im Hinblick auf Gesundheit, angemessenes Entgelt, Qualifikation, demokratische Teilhabe etc. in den Mittelpunkt eines nachhaltigen Flexibilisierungsansatzes gerückt (vgl. Brandt 2013: 10). Dies ist umso wichtiger, da Flexibilisierung ihren Preis hat – und den zahlen, metaphorisch gesprochen, zunächst die Fachkräfte.
Wird Flexibilisierung zum Thema, dann liegt im konkreten Fall, in der jeweiligen gesellschaftlichen Praxis ein zentrales Problem darin, zu erkennen, ob Flexibilisierung auf eine sachlich bzw. fachlich gerechtfertigte Anpassung von Strukturen an geänderte Bedingungen und Ansprüche von KlientInnen und/ oder MitarbeiterInnen abzielt, ob das Etikett flexibilisierter Hilfen lediglich als Geschäftsstrategie zur günstigeren Positionierung auf dem Markt der Leistungsanbieter genutzt wird oder ob es im Kern um finanzpolitische Interessen und Verbilligung geht. Dies wird dadurch erschwert, dass die divergenten Interessenslagen und Zielsetzungen, die Subjekt- und Systemorientierung gegenwärtig in ihren praktischen Vollzügen und Verfahren Schnittstellen aufweisen und scheinbar widerspruchsfrei ineinander greifen (vgl. auch Voß/Pongratz 1998). Flexibilisierte Hilfen, die sich reibungslos in das neue sozialstaatliche Aktivierungsparadigma einfügen wie im „Augsburger Weg“? Überall Win-Win- Situationen – Kosteneinsparungen bei gleichzeitiger Qualitätssteigerung –, wie suggeriert wird? Flexibilisierung kann in diesem Sinne als exemplarisches Beispiel dafür gelesen werden, wie ursprünglich progressiv-emanzipatorische Maximen quasi „systemisch einverleibt“, in einen ökonomistischen Interpretationsrahmen gestellt und für Kostensparinteressen instrumentalisiert werden können. „Es ist abenteuerlich zu sehen, wie sehr wir uns innerhalb der Jugendhilfe dem nackten ökonomischen Argument und dem Kampf um das Überleben im Sparen – und trotz des Sparens – ergeben, ohne die dahinterliegenden politischen Verteilungsfragen zu thematisieren“ (Thiersch 1997: 15). Flexibilisierte Hilfen als qualitativ und fachlich hochwertige Hilfen sind nicht zum Nulltarif zu haben und haben ihren – nun ganz konkret gemeint – Preis.
Auch vor diesem Hintergrund ist immer wieder zu erinnern an die ursprünglichen fachpolitischen Intentionen des Konzepts: Unter dem zusammenführenden Etikett Integrierte Hilfen wird bis heute eine reformorientierte Diskussion geführt, in der die Trias Flexibilität, Integration und Sozialraumorientierung als zentrale, gleichberechtigt umzusetzende Infrastrukturmerkmale zur Gestaltung einer bedarfsgerechten, regional integrierten und nicht-ausgrenzenden Jugendhilfe verstanden werden. Besondere fachpolitische Bedeutung kommt diesem Modell bis heute zu, da es einen Kontrapunkt in der Debatte um den Umgang mit den sog. „besonders schwierigen“ Kindern und Jugendlichen und insbesondere gegen freiheitsentziehende Maßnahmen setzen will. Die Idee einer Flexibilisierung kann sich nicht im Anliegen erschöpfen, das System der Erziehungshilfen und ihre Angebote an sich verschärfende Lebensbedingungen und soziale Ungleichheiten im Kontext des Aufwachsen anzupassen und damit ggf. auf affirmative Weise noch zu deren Stabilisierung beizutragen. Es muss gleichermaßen auch um das Problematisieren derjenigen Strukturen gehen, innerhalb derer sich Lebensbedingungen für Kinder, Jugendliche und ihre Familien heute verschärfen. Was „Flexibilität“ betrifft, so ist also genauer hinzusehen: Flexibilität ist nicht gleich Flexibilität.
Literatur
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